Zeitempfinden

 

Hey Hank, wie geht’s?

 

Bestens.

 

Wie lange kennen wir uns eigentlich schon?

 

Och, keine Ahnung. Eine Ewigkeit?

 

Mir kommt es so vor, als kennen wir uns erst seit kurzem. Ist das nicht verrückt?

 

Mir kommt es eher wie hundert Jahre vor.

 

Nicht gerade sehr schmeichelhaft, dass dir die Zeit mit mir wie eine Ewigkeit vorkommt.

 

Wieso? Das hat doch nichts mit dir zu tun.

 

Du meinst, dir kommt es so vor, als seiest du schon hundert Jahre auf der Welt?

 

Eher etwas mehr. So hundertfünfzig.

 

Sehr ungewöhnlich.

 

Wieso?

 

Bei mir ist es eher so, dass ich mich frage, wo die letzten 20 Jahre hin sind.

 

Da ist wohl was schiefgelaufen.

 

Was meinst du?

 

Ich meine, du hast die letzten 20 Jahre doch nicht verschlafen. Du hast doch viel erlebt.

 

Trotzdem. Weißt du, wenn ich so an meinen Schulbeginn zurückdenke, da hatte ich mir die großen Schüler angeschaut und mir gedacht, dass es noch eine unglaubliche Ewigkeit dauern würde, bis ich auch so alt wäre. Mein Zeitempfinden war völlig anders. Du scheinst ja immer noch dieses Zeitempfinden von damals zu haben.

 

Klar, warum auch nicht?

 

Ist das nicht merkwürdig? Als Erwachsener erlebe ich eigentlich viel mehr als damals, als ich noch ein Kind war, und doch ist das Zeitempfinden genau andersherum. Und du, du bist ja auch nicht gerade der unternehmungslustige Typ.

 

Die ganze Action gibt mir nichts. Ist für mich nur Zeittotschlagen. Aber das ist eher so eine Sache des persönlichen Naturells.

 

Vermutlich kommt es nicht so sehr darauf an, wieviel um einen herum passiert. Als Kind hat man sich permanent verändert. Das lässt später nach. Nur bei dir scheinbar nicht. Erwachsene haben zu allem eine feste Meinung. Vielleicht liegt es daran?

 

Witzig. Ich stelle mir gerade vor, dass Kinder so wären.

 

Dann wären sie nicht lernfähig. Interessant. Das würde heißen, ich hätte mich in den letzten zwanzig Jahren nicht groß verändert.

 

Vielleicht äußerlich ein klein wenig.

 

Danke.

 

Innerlich bist du in deinen jungen Jahren zurückgeblieben.

 

Das wird ja immer besser. Junggeblieben ist übrigens das richtige Wort.

             

Vielleicht warst du vor zwanzig Jahren schon geistig ausgereift. Danach ging es einfach nicht mehr weiter. Während ich es etwas langsamer angehe.

 

Oh, Mann. Lass uns das Thema lieber beenden, bevor ich noch in Selbstmitleid versinke.

 

Alles klar.