Eine etwas laxe Auffassung von der Ehe

 

Haben Sie gehört, was ich da gespielt habe, Lane?

 

Ich hielt es für höflicher, nicht zuzuhören, Sir.

 

Pech für Sie, Lane. Ich spiele zwar nicht genau nach Noten – genau spielen kann jeder -, aber ich spiele mit wundervollem Ausdruck. Auf dem Piano ist Gefühl mein Forte. Wissenschaft gehört ins Leben.

 

Ja, Sir.

 

Und apropos Wissenschaft: sind die Gurkensandwiches für Lady Bracknell zubereitet?

 

Ja, Sir.

 

Oh!... Übrigens, Lane, in Ihrem Haushaltsbuch steht, am Donnerstagabend, als Lord Shoreham und Mr. Worthing hier dinierten, seien acht Flaschen Champagner geleert worden.

 

Ja, Sir; acht ganze und eine halbe.

 

Wie kommt es eigentlich, dass in einem Junggesellenhaushalt die Diener unweigerlich den Champagner wegtrinken. Ich frage nur aus Wissensdurst.

 

Meiner Meinung nach ist es eine Frage der Qualität, Sir. Ich habe oft bemerkt, dass in Ehehaushalten so gut wie keine Spitzenmarken zu finden sind.

 

Du meine Güte! Ist das Eheleben derart demoralisierend?

 

Ich glaube, der Ehestand hat durchaus auch seine angenehmen Seiten, Sir. Ich hatte bisher sehr wenig Erfahrung auf dem Gebiet. Ich bin erst einmal verheiratet gewesen. Infolge eines Missverständnisses zwischen mir und einer jungen Person.

 

Ich fürchte, Ihr Familienleben interessiert mich nicht allzu sehr.

 

Nein, Sir; es ist kein sehr interessantes Thema. Ich selbst denke nie daran.

 

Absolut verständlich. Das wär's, Lane, vielen Dank.

 

Lane's Auffassung von der Ehe kommt mir doch ziemlich lax vor. Ich muss schon sagen, wenn uns die unteren Stände kein gutes Beispiel geben, wozu dienen sie dann eigentlich noch? Mir scheint, diese Gesellschaftsklasse hat keinerlei moralisches Verantwortungsgefühl.

 

(Aus: Oscar Wilde, „Bunbury“, Reclam 2004, S. 5/6)