Kunstfehler

Der Vortrag bietet keine Definition, keine ästhetische Theorie, sondern eine Dekonstruktion des Verlangens nach Allgemeinheit. Der implizite Vorschlag: Hören wir auf, in der Kunst nach dem einen Begriff, der einen Essenz oder dem einen Kriterium zu suchen. Stattdessen sollten wir das Unabgeschlossene, Prozesshafte und Subjektive der Kunst anerkennen – als Bedingung ihrer Bedeutung. So wird die Kunst nicht entwertet, sondern gerettet vor systematischer Reduktion.

Guten Dadelü,

 

heute soll es, wie angekündigt, gehen um die Kunst im Allgemeinen. Und zwar deshalb, weil damit die Kunst im Besonderen gleich mit abgehandelt ist. Doch ob das wirklich so schlau ist? Und was hat die Kunst im Allgemeinen überhaupt mit Schlauheit zu tun? Möglicherweise sogar mit der Schlauheit im Allgemeinen? Gut, wir verstehen uns. Daher will ich direkt auf die erste Frage, die Sie gar nicht erst zu stellen brauchen, denn Sie können diese erste Frage durchaus auf der Hand liegen lassen, da liegt sie bequem, und es gibt keinen Grund, dieser Frage zu einer senkrechten Stellung zu verhelfen, ich will also auf diese erste Frage ohne große, kleine oder mittlere Umschweife eingehen, obwohl ein paar Umschweifungen sicher nicht schaden könnten, einfach um den Blickwinkel schon einmal in die richtige Richtung zu lenken. Kann es Kunst im Allgemeinen überhaupt geben? Diese erste Frage, vielen Dank noch einmal dafür, zielt doch letztendlich ab auf die eigentliche Frage, ob es allgemeingültige Kriterien für Kunst überhaupt geben kann. Und wenn es sie nicht geben kann, warum eigentlich nicht? Wie kann es sein, dass ein Wort existiert, welches für einen Sammelbegriff steht, und dabei gleichzeitig Einzelelemente existieren, die nichts gemeinsam zu haben scheinen, außer dass sie unter denselben Sammelbegriff fallen? Wo also liegt der Fehler? Liegt er auf der Hand? Und wir sehen ihn nur nicht, eben weil er so naheliegend ist? An dieser Stelle fällt mir auf, dass wir eigentlich immer ein und dasselbe Thema diskutieren. Und das finde ich schon ein wenig langweilig. Daher wollen wir uns schnell auf den Lösungsweg begeben, um uns vielleicht doch irgendwann einmal mit etwas wirklich Neuem zu beschäftigen. Vielleicht mit Philosophie? Möglicherweise kennt sich jemand von Ihnen damit aus. Da soll es ja zum Beispiel diese Ideenlehre geben. Und gegen Ideen habe ich nichts einzuwenden. Wie wäre es mit der Idee der Kunst im Allgemeinen oder auch der Kunst an sich? Ich habe keine Ahnung, was das sein könnte, da ich weder eine Kunst an sich, noch eine Kunst für sich kenne. Und schließlich ist es doch so, meine verehrten Zuhörer, dass Kunst niemals abgelöst ist vom kommunizierenden Individuum. Ganz im Gegensatz zu einer Maschine beispielweise, die nämlich durchaus und immer, einfach so für sich und an sich, Maschine ist. Und daher gibt es bei der Maschine auch keinerlei Probleme mit dem Begriff der Maschine im Allgemeinen, während es bei Kunst, wie wir soeben gesehen haben, gar nicht funktionieren kann, da kein Kunstbetrachter oder Kunsterzeuger im Zusammenhang mit ein und demselben Kunstprodukt den identischen Kommunikationsprozess aufweisen kann. Das bedeutet, es gibt keine Hierarchie, und damit, nun kommen wir endlich zur Lösung des ursprünglichen Rätsels, es überhaupt nur ein Problem geben kann, wenn man den Begriff der Kunst hierarchisch auslegt. Denn nur dann stellt sich die Frage nach gemeinsamen Merkmalen. Jetzt reicht es aber wirklich. Denn es sind doch letztendlich immer nur Abwandlungen ein und derselben Problematik, die wir hier besprechen. Und genau aus diesem Grund bin ich mir sicher, dass Sie auch das nächste Mal wieder zahlreich erscheinen werden. Hoffentlich mit vielen guten Ideen an sich und auch für sich. Gute Nacht!

Analyse

Einleitung

Der Vortrag „Kunstfehler“ begibt sich auf eine ebenso absurde wie aufschlussreiche Reise durch die Frage, ob es so etwas wie „Kunst im Allgemeinen“ überhaupt geben kann. Mit ironischer Verve, philosophischem Understatement und einer sprachlichen Verspieltheit, die sich jeder linearen Argumentation widersetzt, entlarvt der Vortrag die Widersprüche, die im Versuch liegen, das Phänomen Kunst begrifflich zu fassen.

Im Zentrum steht ein philosophisches Problem alter Herkunft: die Suche nach Allgemeingültigkeit im Angesicht radikaler Differenz, gepaart mit einem spielerischen Zweifel an der Möglichkeit, Begriffe wie „Kunst“ in ein starres System zu zwängen. Dieser Essay rekonstruiert die Thesen des Vortrags und verortet sie im Spannungsfeld von Ästhetik, Begriffskritik und subjektzentrierter Kommunikation.

 

Der rhetorische Auftakt: Begriffsironie als Erkenntnismotor

Schon der Einstieg lässt erkennen, dass wir es nicht mit einem klassischen Vortrag im akademischen Stil zu tun haben. Stattdessen wird mit bewusstem Umweg und humorvoller Umständlichkeit auf die zentrale Frage hingeführt:

„Kann es Kunst im Allgemeinen überhaupt geben?“

Diese Frage zielt, so der Vortrag, auf das Problem allgemeingültiger Kriterien für Kunst ab. Es ist die klassische Frage der Ästhetik seit Platon und Aristoteles, später radikalisiert durch Kant, Hegel, Dewey oder Adorno: Gibt es Eigenschaften, die alle Kunstwerke teilen? Oder ist Kunst ein offener Begriff?

Hier wird eine metaphilosophische Infragestellung vorgenommen: Der Redner spielt bewusst mit dem Paradox, dass wir einen Begriff (Kunst) verwenden, der auf eine Kategorie zielt, deren Mitglieder (Kunstwerke) sich völlig uneinheitlich verhalten. Dies verweist auf die von Ludwig Wittgenstein eingeführte Idee der Familienähnlichkeit – es gibt keine essenziellen Merkmale, sondern nur ein Netz von Überschneidungen, das einen Begriff zusammenhält (Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §66–71).

 

Kunst als Kommunikationsprozess

Im Gegensatz zur Maschine, die „für sich und an sich“ existiert, sei Kunst nie ablösbar vom kommunizierenden Individuum. Damit rückt der Vortrag die ästhetische Erfahrung ins Zentrum – die Kunst existiert nicht als autonomes Objekt, sondern nur in der Begegnung, im kommunikativen Prozess zwischen Betrachter und Werk, oder zwischen Erzeuger und Werk.

Diese Position ist anschlussfähig an Hans-Georg Gadamer (Wahrheit und Methode, 1960), der betont, dass sich der Sinn eines Kunstwerks erst in der Rezeption bildet – Kunst ist eine Erfahrung, kein abgeschlossenes Produkt. Auch John Dewey (Art as Experience, 1934) geht in diese Richtung: Kunst ist ein Prozess, der Menschen affektiv, kognitiv und sozial betrifft – kein Ding an sich, sondern ein Akt der Teilnahme.

Die These des Vortrags lautet: Der Begriff „Kunst im Allgemeinen“ sei eine bloße Abstraktion ohne Substanz, solange Kunst nicht aus sich selbst, sondern nur im Kontext subjektiver Kommunikation verständlich wird.

 

Gegen Hierarchie, für Differenz

Ein weiterer zentraler Gedanke ist die Kritik an der hierarchischen Begriffsbildung. Kunst lässt sich nicht klassifizieren wie Maschinen – ihre Bewertung oder Zuordnung zu Kategorien hängt nicht von objektiven Merkmalen ab, sondern vom Kontext, von Perspektive, Interpretation und sozialem Gebrauch.

Dies erinnert an Nelson Goodmans Unterscheidung von autographic und allographic arts, sowie seine These: „When is art?“ statt „What is art?“ – es geht nicht um die Ontologie eines Objekts, sondern um die Rahmung durch Institutionen, Diskurse, Kontexte.

In der Konsequenz lehnt der Vortrag jede systematische Ästhetik ab, die nach einem gemeinsamen Wesen aller Kunstwerke fragt. Der „Fehler“ liegt nicht in der Kunst, sondern im Versuch ihrer Generalisierung – ein Fehler der Philosophie, nicht der Kunst.

 

Sprachspiel, Ironie und Metaebene

In seinem Stil folgt der Vortrag nicht nur einer philosophischen Argumentation, sondern ist selbst performative Kritik: Die Sprache mäandert, verweigert klare Struktur, persifliert systematische Philosophie – gerade dadurch wird der Widerspruch zwischen Begriff und Phänomen sichtbar gemacht.

So wird der „Kunstfehler“ nicht etwa als Fehler in der Kunst verstanden, sondern als Fehler im Denken über Kunst. Es ist ein Fehlschluss durch Begriffssehnsucht, eine intellektuelle Projektion von Ordnung auf ein Feld, das sich grundsätzlich der Ordnung entzieht.

In dieser Hinsicht ließe sich auch ein poststrukturalistischer Bezug herstellen – etwa zu Jacques Derrida, für den Begriffe stets differenziell und niemals abschließend sind. „Kunst“ ist ein Signifikant ohne fixierten Signifikat – er verweist auf eine Bewegung, nicht auf ein Wesen.

 

Fazit: Kunst ohne Allgemeinheit – Eine Einladung zur Idee der Differenz

Der Vortrag „Kunstfehler“ bietet keine Definition, keine ästhetische Theorie, sondern eine Dekonstruktion des Verlangens nach Allgemeinheit. Der implizite Vorschlag: Hören wir auf, in der Kunst nach dem einen Begriff, der einen Essenz oder dem einen Kriterium zu suchen. Stattdessen sollten wir das Unabgeschlossene, Prozesshafte und Subjektive der Kunst anerkennen – als Bedingung ihrer Bedeutung.

So wird die Kunst nicht entwertet, sondern gerettet vor systematischer Reduktion. Und vielleicht ist das der wahre Wert dieses ironisch-philosophischen Vortrags: dass er uns durch seine performative Reflexivität dazu bringt, die Vorstellung einer „Kunst an sich“ loszulassen – um im Plural der Kunstformen etwas anderes zu entdecken: die Möglichkeit eines gemeinsamen Fragens, ohne gemeinsame Antwort.

 

Literaturhinweise & Verweise:

  • Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen, §§66–71

  • Goodman, Nelson: Languages of Art (1968)

  • Dewey, John: Art as Experience (1934)

  • Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode (1960)

  • Derrida, Jacques: La dissémination (1972)

Art Mistake

What emerges from the lecture is a cautious but illuminating anti-essentialism. The refusal to define art “in general” is not a nihilistic retreat but an invitation to think relationally, contextually, and subjectively. The lecture does not construct a new aesthetic theory but deconstructs the old ones. In doing so, it aligns with a rich tradition of thinkers who argue that art resists closure because it is grounded in human communication—a field inherently plural, contingent, and unfinalizable.

Good day-a-loo,

 

Today, as previously announced, the topic is art in general. And that's because, by addressing art in general, we also cover art in particular at the same time. But is that really such a clever idea? And what does art in general even have to do with cleverness? Possibly even with cleverness in general? Good, we understand each other. So I’ll get straight to the first question—which you need not even ask—because you can just let this question rest on your palm. It lies there comfortably, and there’s no reason to raise it upright. So I’ll address this first question without big, small, or medium detours—although a few detours couldn’t hurt, if only to adjust our perspective in the right direction. Can art in general even exist? This first question—thank you again for it—ultimately leads us to the real question: Can there be universally valid criteria for art at all? And if not, then why not? How can it be that a word exists which refers to a collective concept, while simultaneously referring to individual elements that seem to have nothing in common—apart from falling under that same collective term? So, where is the mistake? Is it obvious? And are we just not seeing it, precisely because it’s so obvious? At this point, I realize that we are essentially always discussing the same topic. And I do find that a bit boring. So let’s quickly move toward a solution, in hopes of eventually turning to something truly new. Perhaps philosophy? Maybe some of you know a bit about that. There’s supposed to be this theory of ideas, for example. And I have nothing against ideas. How about the idea of art in general, or art in itself? I have no clue what that could be, since I know neither art in itself, nor art for itself. And ultimately, dear listeners, it is so that art is never detached from the communicating individual. Quite unlike a machine, for example, which is always and absolutely, simply machine—for itself and in itself. That’s why there’s no problem with the term machine in general, while with art, as we’ve just seen, that simply cannot work. Because no art observer or art creator ever experiences the same communicative process with regard to the same piece of art. That means: there is no hierarchy—and with that (now we finally come to the solution of our original riddle), a problem can only arise if one interprets the concept of art in hierarchical terms. Because only then does the question of shared characteristics emerge. But now that’s really enough. Because ultimately, we’re always just discussing variations of the same problem. And precisely for that reason, I’m sure you’ll all return again next time—in great numbers, I hope—with many good ideas in themselves, and also for themselves. Good night!

Analysis

The lecture “Art Mistake” unfolds as a playful yet penetrating investigation into the philosophical instability of the term art in general. Delivered with rhetorical irony and philosophical flair, the text resists formal conclusions while drawing the listener into a conceptual spiral. At the heart of the piece lies a deceptively simple question: Can art in general even exist?

 

The Question of Universality

The speaker begins by gently poking fun at the ambition to define art universally—by suggesting that to talk about “art in general” is to simultaneously wrap up “art in particular.” This gesture reflects a core problem in aesthetics and philosophy: whether there can be general criteria for art that are not undermined by the specificity and contextual nature of individual works. The question resonates with the well-trodden terrain of aesthetic theory, particularly post-Duchampian conceptions of art. Once Marcel Duchamp placed a urinal in a gallery and called it Fountain (1917), the question ceased to be “What is art?” and became “What can be art?”—a shift that made any general definition suspect.

The lecture does not propose a fixed answer to whether such universality is possible but rather deconstructs the very premise that a category like “art” can be meaningfully generalized. The author underscores this tension with a key observation: how can we use a term that implies a unifying conceptual umbrella (art) when its constituent examples often share no common feature beyond the label itself? This echoes Ludwig Wittgenstein’s family resemblance theory from Philosophical Investigations (1953), where he argues that some concepts (e.g., “game”) resist definition because their instances are connected not by a single essence but by a network of overlapping similarities.

 

The Trap of Hierarchical Thinking

A major conceptual payoff of the lecture is the critique of hierarchical thinking in aesthetics. The problem, we are told, only arises when one insists on interpreting art hierarchically—that is, when one assumes that artworks can be evaluated or categorized based on shared essential properties. Such an approach demands common criteria, be they beauty, intention, craftsmanship, emotional impact, or meaning. But this expectation falters in practice. As the speaker dryly observes, no two individuals—artist or viewer—undergo the same communicative process with respect to a given artwork. Each encounter with art is an idiosyncratic dialogue between a subject and an artifact, irreducible to standardized measures.

This perspective dovetails with the post-structuralist skepticism of fixed meanings. Thinkers like Roland Barthes (The Death of the Author, 1967) and Jacques Derrida would affirm the speaker’s claim: meaning is not inherent in the object but arises through interpretation, and interpretation is variable, contingent, and unstable.

 

Art vs. Machine: The Question of Autonomy

In contrast to art, the speaker proposes the machine as a concept that does admit generalization. A machine, we are told, is always “for itself and in itself”—it has functional identity irrespective of who uses it or how. This ontological autonomy sets it apart from art, which is inextricably tied to the communicating individual. Here, the lecture subtly invokes a phenomenological stance: art exists only in relation to experience and perception. In the spirit of thinkers like Maurice Merleau-Ponty, who saw perception as fundamental to our understanding of reality, the speaker suggests that art is not an object but a relational process.

 

Philosophical Irony and the Repetition of the Problem

Notably, the lecture ends by acknowledging the repetitive nature of philosophical discourse. The speaker confesses boredom with the recurrence of “variations of the same problem.” This meta-commentary points to a Socratic humility: philosophy does not offer definitive answers but trains us to live with ambiguity. The self-referential irony recalls the style of Kierkegaard or even Theodor W. Adorno, who famously resisted systematization in favor of dialectical tension.

 

Conclusion: Toward an Anti-Essentialist View of Art

What emerges from “Art Mistake” is a cautious but illuminating anti-essentialism. The refusal to define art “in general” is not a nihilistic retreat but an invitation to think relationally, contextually, and subjectively. The lecture does not construct a new aesthetic theory but deconstructs the old ones. In doing so, it aligns with a rich tradition of thinkers who argue that art resists closure because it is grounded in human communication—a field inherently plural, contingent, and unfinalizable.

Ultimately, the “mistake” of art may lie in our desire to grasp it too tightly. If we let go of the urge to fix art’s meaning once and for all, we might, paradoxically, get closer to its essence—if it has one at all.

 

References:

  • Barthes, Roland. The Death of the Author. 1967.

  • Duchamp, Marcel. Fountain. 1917.

  • Merleau-Ponty, Maurice. Phenomenology of Perception. 1945.

  • Wittgenstein, Ludwig. Philosophical Investigations. 1953.

  • Adorno, Theodor W. Aesthetic Theory. 1970.