Ein komischer, zugleich tiefphilosophischer Text über das menschliche Bedürfnis nach Gleichheit – und seine Fallstricke. Er zeigt, wie der Wunsch nach Harmonie in eine Logik der Auslöschung des Eigenen kippen kann. Die scheinbar triviale Unterhaltung offenbart sich als abgründige Meditation über die Unmöglichkeit absoluter Übereinstimmung.
Sag mal, geht dir das auch so?
Ja, geht mir auch so.
Und was machst du dagegen?
Warum sollte ich was dagegen machen? Ich habe nichts dagegen, dass es mir wie dir geht.
Und wenn es mir anders gehen würde?
Dann würde ich schauen, dass es mir auch anders gehen würde, nämlich genauso wie dir.
Und das kommt dir nicht komisch vor?
Kommt es dir denn komisch vor?
Mir kommt es komisch vor.
Dann kommt es mir auch komisch vor. Alles wunderbar.
Aber mein komisch bezieht sich auf dein Verhalten. Tut das dein komisch auch?
Natürlich nicht. Im Sinne des Gleichgewichts und der Symmetrie bezieht sich mein komisch selbstverständlich auf dein Verhalten.
Du spiegelst mein Verhalten aus Gründen der Symmetrie?
So ist es. So wird die Ordnung des Universums bewahrt.
Das bedeutet, wenn du dich nicht so wie ich verhalten würdest, dann würde nach deiner Meinung die Ordnung des Universums aus den Fugen geraten?
Ich bin sogar sicher, dass das passieren würde. Chaos und Durcheinander, Leid und Elend wären die Folge. Das willst du doch nicht?
Natürlich nicht. Aber beschreibt das nicht exakt den jetzigen Zustand?
Richtig. Aber jetzt stell dir vor, das würde alles noch viel schlimmer. Und schlimmer geht immer, wie du weißt.
Ja, ich weiß. Ok, dann mach meinetwegen weiter, mein Verhalten zu imitieren.
Ich imitiere nichts. Es ist auch keine Kopie. Es muss identisch sein.
Ok, mir reicht es. Das ist meine Station. Ich muss hier aussteigen.
Ich komme mit.
Analyse
Der kurze Dialog „Im Auftrag der Symmetrie“ entfaltet in lakonischer, fast minimalistischer Sprache eine Reflexion über Mimesis, Identität, Ordnung und den paradoxen Wunsch nach Konformität. Was zunächst wie ein harmloser Smalltalk zwischen zwei Menschen klingt, entpuppt sich bald als tiefgreifende Parabel auf das Verhältnis von Selbst und Anderem, von subjektiver Erfahrung und kosmischer Ordnung.
Mit feiner Ironie und fast sokratischer Fragetechnik treibt der Text die Idee der Symmetrie bis zur Absurdität – und öffnet damit ein weites Feld an philosophischen Bezugspunkten: von Platon bis Lacan, von Hegels dialektischem Spiegeln bis zu postmodernen Identitätsfragen.
1. Symmetrie als Prinzip der Welt – und der Beziehung
Der zentrale Gedanke des Texts wird früh ausgesprochen:
„Ich habe nichts dagegen, dass es mir wie dir geht.“
„Wenn es mir anders gehen würde?“
„Dann würde ich schauen, dass es mir auch anders gehen würde, nämlich genauso wie dir.“
Dies ist mehr als bloße Empathie oder Solidarität – es ist ein grundsätzlicher Anspruch auf Spiegelung. Der zweite Sprecher lehnt individuelle Differenz ab zugunsten einer perfekten Synchronisation der Zustände. Das Motiv erinnert an Platons Idee der Harmonie im „Timaios“: Eine gut geordnete Welt entsteht, wenn alle Teile zueinander in ein ausgewogenes Verhältnis treten. Diese „symmetrische Weltordnung“ wird hier jedoch auf das Zwischenmenschliche heruntergebrochen – mit durchaus komischer Wirkung.
2. Von der Imitation zur Identität
„Du spiegelst mein Verhalten aus Gründen der Symmetrie?“
„So ist es. So wird die Ordnung des Universums bewahrt.“
In diesem Moment kippt der Text ins Paradoxe: Der Wunsch, sich exakt wie der andere zu verhalten, wird zur kosmologischen Notwendigkeit erklärt. Damit wird das Individuum nicht nur relational, sondern fast ausgelöscht – Identität existiert nur als Spiegelbild. Die Konversation erinnert an Lacans „Spiegelstadium“: das Subjekt erkennt sich (scheinbar) in seinem Spiegelbild – jedoch zu einem Preis: Das Ich ist nie ganz bei sich, sondern immer vermittelt durch das Bild des Anderen.
In diesem Sinne betreibt der Dialog eine radikale Dekonstruktion von Autonomie. Der eine Sprecher kann nur sein, was der andere ist – oder anders gesagt: Sein ist ein Mitsein (Heidegger), aber hier bis zur Groteske gesteigert.
3. Komik durch Logik
Die Pointe des Textes liegt im zunehmend absurder werdenden Argumentationsverlauf. Die Figuren verstricken sich in ein Netz von logischer Konsequenz, das sich selbst ad absurdum führt. Diese Art der philosophischen Komik erinnert an die Dialoge Lewis Carrolls oder an Szenen aus Samuel Becketts „Warten auf Godot“: Sprache erzeugt Bedeutung – nur um diese zugleich wieder aufzulösen.
Besonders prägnant ist:
„Ich imitiere nichts. Es ist auch keine Kopie. Es muss identisch sein.“
Dies ist eine subtile, beinahe ontologische Aussage: Der Unterschied zwischen Kopie und Identität wird verwischt. Der Sprecher behauptet nicht, den anderen nachzuahmen, sondern zu sein wie er. Damit stellt sich die Frage: Was bleibt vom Eigenen übrig, wenn man vollständig mit dem Anderen identisch sein will? Die Vorstellung einer solchen Perfektion durch Symmetrie erscheint zugleich metaphysisch und lächerlich – eine Parodie auf den utopischen Gleichheitsgedanken.
4. Stationen des Ausstiegs – Differenz als Rettung
Die Auflösung des Textes erfolgt plötzlich und fast beiläufig:
„Ok, mir reicht es. Das ist meine Station. Ich muss hier aussteigen.“
„Ich komme mit.“
Dieser Abgang ist nicht nur ein physischer, sondern auch ein symbolischer Akt: Die Entscheidung zur Differenz, zur Loslösung von der Symmetrie, ist der Versuch, sich aus der endlosen Schleife der Spiegelung zu befreien. Doch selbst im Ausstieg bleibt die Symmetrie bestehen – „Ich komme mit.“
Dies führt uns zu einem paradoxen Schluss: Es gibt kein Entkommen aus der Spiegelung. Selbst die Differenz wird vom Spiegel reflektiert. Dies ist fast schon ein Verweis auf Hegels Dialektik: Das Andere ist nicht einfach fremd, sondern notwendig für die Selbstwerdung. Doch der Text persifliert diese Bewegung, indem er jede Differenz sofort in Identität zurückführt.
Fazit: Der Ernst des Lächerlichen
„Im Auftrag der Symmetrie“ ist ein komischer, zugleich tiefphilosophischer Text über das menschliche Bedürfnis nach Gleichheit – und seine Fallstricke. Er zeigt, wie der Wunsch nach Harmonie in eine Logik der Auslöschung des Eigenen kippen kann. Die scheinbar triviale Unterhaltung offenbart sich als abgründige Meditation über die Unmöglichkeit absoluter Übereinstimmung.
Der Text spielt mit der Dialektik von Ich und Du, von Nachahmung und Original, von Ordnung und Chaos – und erinnert uns daran, dass jeder Versuch, die Welt vollständig symmetrisch zu machen, notwendig ins Groteske führt.
Mögliche weiterführende Literatur:
-
Jacques Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion (1949)
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Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen – zu Sprachspielen und Wiederholung
-
Jean Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod – zur Simulation des Realen
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G.W.F. Hegel: Phänomenologie des Geistes – Dialektik von Selbst und Anderem
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Samuel Beckett: Warten auf Godot – Absurdität im Dialog