Der Dialog mit Hankman entlarvt auf intelligente und augenzwinkernde Weise das populäre Bild vom Gehirn als Festplatte. Stattdessen wird Erinnerung – und speziell Gesichtserkennung – als ein Beziehungsereignis dargestellt: nicht das Gesicht an sich wird erkannt, sondern das, was es auslöst. Damit wird auch ein neuer Begriff von Identität angedeutet, der nicht auf statischer Speicherung basiert, sondern auf fluider Wiederverbindung.
Hey, Hankman! Du kannst dir doch ziemlich gut Gesichter merken, stimmt's?
Merken? Eher nicht. Das klingt so nach Scannen und Speichern. Die Informationen werden irgendwo abgelegt, vielleicht in einem geeigneten Bereich meines Gehirns. Und diese Informationen sind nun mal, wie es für Informationen eben typisch ist, an sich völlig bedeutungslos. Darüber wurde schon mal gesprochen, wenn ich mich recht erinnere. Also, das ist völliger Quatsch. Möglicherweise meinst du aber das Richtige, hast es nur etwas unglücklich, umgangssprachlich vereinfachend ausgedrückt? Angenommen, es wäre aber doch so, weißt du was dann cool wäre? Wenn ich diese Informationen zu Papier bringen könnte! Dann müsste ich doch die gescannten Gesichter perfekt zeichnen können. Das würde mir schon gefallen. Doch leider ist es ganz anders. Nichtsdestotrotz bin tatsächlich recht gut darin, Gesichter wiederzuerkennen, was oft ziemlich nervt, denn jedes Mal, wenn ich einen Film schaue, fällt mir ein, in welchen Filmen ich die Schauspieler schon gesehen hatte. Übrigens gibt es einen Test der University of Greenwich, mit dem du feststellen kannst, ob du vielleicht auch einer dieser Super-Recogniser bist. Erwartungsgemäß habe ich dabei sehr gut abgeschnitten, auch wenn ich es etwas schwierig fand, da man eher typisch englische Gesichter wiedererkennen musste. Ich glaube, das funktioniert mehr so, dass man mit der jeweiligen Physiognomie irgendetwas verbindet und dass beim erneuten Erblicken desselben Gesichts dieses etwas auslöst, sei das Gesicht auch gealtert, oder hat es jetzt vielleicht einen Bart, oder was auch immer, dass dabei das, was man damit verbindet, wieder erscheint, aber das ist nur eine Vermutung, die mir jedoch plausibler erscheint, als dieses Sender-Empfänger-Informationen-Abspeichern-Ding. Ok, ich denke, deine Frage ist beantwortet?
Ist sie.
Analyse
In dem Dialog zwischen einem namenlosen Fragesteller und der Figur „Hankman“ entspinnt sich auf humorvolle und zugleich tiefgründige Weise eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Gesichtserkennung. Was zunächst wie Small Talk über ein gutes Gedächtnis beginnt, entwickelt sich zu einer erkenntnistheoretischen Reflexion über Wahrnehmung, Gedächtnis, Bedeutung – und letztlich über das, was es heißt, „wiederzuerkennen“.
Im Zentrum steht eine paradoxe Spannung: Wir erkennen Gesichter wieder, doch nicht, weil wir sie gespeichert hätten wie Dateien auf einer Festplatte. Vielmehr – so Hankman – geschieht Wiedererkennen über Assoziationen, Gefühle, Deutungen. Der Dialog stellt damit eine mechanistische Sicht des Gedächtnisses in Frage und verweist auf eine tiefere, subjektivere Form der Erinnerung.
1. Gesichtserkennung jenseits des „Scannens“
Hankmans erste Reaktion auf die Frage, ob er sich gut Gesichter merken könne, ist ein fast allergisches Abwehren des Begriffes „merken“. Für ihn klingt das „wie Scannen und Speichern“ – also nach einer technischen Metapher, die dem menschlichen Erleben nicht gerecht wird. Diese Kritik ist nicht neu. Bereits in der Philosophie des Geistes wurde immer wieder vor der Reduktion des Bewusstseins auf computerartige Prozesse gewarnt. Hubert Dreyfus etwa, ein scharfer Kritiker der frühen KI-Forschung, betonte, dass menschliche Kognition wesentlich leiblich, situativ und sinnvermittelt sei – also gerade nicht berechenbar oder speicherbar im simplen Sinn.
In der Literatur finden wir ähnliche Motive bei Marcel Proust, insbesondere in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Die berühmte Madeleine-Episode beschreibt nicht das absichtliche Erinnern, sondern das plötzliche Wiederauftauchen einer Erinnerung durch einen Geschmack, einen Geruch – durch eine affektive Verbindung. Hankman scheint eine ähnliche Vorstellung zu vertreten: „Man verbindet mit der jeweiligen Physiognomie irgendetwas“, und dieses „etwas“ wird dann beim Anblick des Gesichts ausgelöst. Die Erinnerung ist also nicht im Gesicht selbst gespeichert, sondern in der Beziehung, die der Wiederkennende zum Gesicht hat.
2. Die Bedeutung des Bedeutungslosen
Ein weiterer zentraler Gedanke ist, dass „Informationen […] an sich völlig bedeutungslos“ seien. Damit wird ein semiotisches Problem angesprochen, das sich auf die Differenz zwischen Zeichen und Bedeutung bezieht. In der Tradition von Ferdinand de Saussure und später Roland Barthes gilt: Ein Zeichen erhält seine Bedeutung nicht durch seine physische Form, sondern durch ein interpretatives System. Gesichter als bloße „Informationen“ (etwa als Pixelmuster) sind leer – Bedeutung entsteht erst im Wiedererkennen, im Kontext, im Assoziationsfeld.
Wenn also ein Gesicht aus einem Film auftaucht, erkennt Hankman nicht nur die äußere Form, sondern ruft eine ganze Geschichte ab: frühere Filme, Rollen, vielleicht sogar eigene Erlebnisse beim damaligen Sehen. Er erkennt nicht ein „Gesicht“, sondern ein Phänomen, das im Bewusstsein mehrdimensional verwoben ist.
3. Super-Recognizer und die Grenze des Messbaren
Interessant ist auch Hankmans Verweis auf den Test der University of Greenwich, bei dem sogenannte „Super-Recognizer“ identifiziert werden sollen – Menschen mit außergewöhnlichem Talent zur Gesichtswiedererkennung. Er schneidet erwartungsgemäß gut ab, bemängelt aber die kulturelle Voreingenommenheit der Testbilder („typisch englische Gesichter“). Dies lenkt den Blick auf die soziale und kulturelle Dimension der Wahrnehmung: Wir erkennen besser, was wir kennen. Wiedererkennen ist also immer auch ein Wieder-Erkennen innerhalb einer vertrauten Welt.
Das stellt auch die Objektivität solcher Tests infrage und weist auf die Grenzen der quantifizierbaren Psychologie hin – ein Thema, das in Werken von Michel Foucault bis Thomas Bernhard durchgespielt wird: das Misstrauen gegenüber Messbarkeit, wo Subjektivität eigentlich das Maß der Dinge ist.
4. Die Abwesenheit von Zeichnenkönnen
Ein spannender, fast komischer Moment ergibt sich, als Hankman sich ausmalt, wie es wäre, die „gespeicherten“ Gesichter perfekt zu Papier bringen zu können. Diese Fähigkeit besitzt er allerdings nicht – ein Hinweis darauf, dass Wiedererkennen nicht mit bildlicher Reproduktion gleichzusetzen ist. Dieses Scheitern erinnert an Borges’ Kurzgeschichte Funes, der Memoriensch, in der der Protagonist zwar jedes Detail erinnern kann, aber gerade deshalb zu keiner Abstraktion fähig ist. Auch hier zeigt sich: Erinnerung ist nicht bloße Kopie, sondern ein schöpferischer Akt.
Fazit: Erinnerung als Beziehung, nicht als Datei
Der Dialog mit Hankman entlarvt auf intelligente und augenzwinkernde Weise das populäre Bild vom Gehirn als Festplatte. Stattdessen wird Erinnerung – und speziell Gesichtserkennung – als ein Beziehungsereignis dargestellt: nicht das Gesicht an sich wird erkannt, sondern das, was es auslöst. Damit wird auch ein neuer Begriff von Identität angedeutet, der nicht auf statischer Speicherung basiert, sondern auf fluider Wiederverbindung.
Hankman führt uns damit an eine philosophische Schwelle, hinter der uns vielleicht kein Speicherchip, sondern nur das offene Wunder der Wiederbegegnung erwartet.
Expression (2)
The dialogue thus evolves from a simple question about facial memory into a subtle meditation on how we know others—and ourselves. It critiques the notion of memory as mechanical storage and instead gestures toward a model rooted in meaning, association, and relational presence.
Hey, Hankman! You're pretty good at remembering faces, right?
Remembering? Not really. That sounds too much like scanning and storing. The information gets stored somewhere, maybe in some suitable area of my brain. And this information, as is typical for information, is completely meaningless in itself. That’s already been discussed before, if I remember correctly. So, that’s total nonsense. But maybe you meant the right thing, just expressed it a bit awkwardly and colloquially? Assuming it were like that, you know what would be cool? If I could put that information down on paper! Then I should be able to draw the scanned faces perfectly. I’d really like that. But unfortunately, it’s quite different. That said, I am actually pretty good at recognizing faces, which often gets annoying—because every time I watch a movie, I keep remembering which other films I’ve seen the actors in. By the way, there’s a test from the University of Greenwich where you can find out whether you might be one of those so-called 'super recognizers'. As expected, I did pretty well, even though I found it a bit hard because the test mostly featured typically English faces. I think it works more like this: you associate something with a particular physiognomy, and when you see that same face again—whether it’s aged now, has a beard, or whatever—that something gets triggered again. But that’s just a guess, though one that seems more plausible to me than this sender-receiver, information-storage thing. Okay, I think that answers your question?
It does.
Analysis
In the brief yet rich dialogue surrounding facial recognition, memory, and perception, we are presented with an unexpectedly philosophical exploration of how the human mind engages with identity—not through cold storage and retrieval of data, but through something far more elusive: association, resonance, and subjective meaning. Beneath the speaker’s dismissive tone toward the mechanistic metaphor of “scanning and storing,” there lies a deeper skepticism toward a purely informational model of cognition, which calls to mind broader philosophical and literary questions about how we remember and recognize others, and by extension, ourselves.
Information vs. Meaning: Beyond the Scanner
The dialogue opens with a critique of the idea that remembering faces is akin to “scanning and storing” them—a metaphor inherited from the computational theory of mind. The speaker challenges this by insisting that the data captured in memory, like information in isolation, is inherently meaningless. This critique resonates with the thought of Gregory Bateson, who famously defined information as “a difference that makes a difference.” If a face were merely stored as raw data, it would have no significance unless it triggered something else—an emotion, a memory, an association.
This insight aligns with the phenomenological tradition, particularly Maurice Merleau-Ponty’s emphasis on perception as an embodied, situated act. Recognition, in this view, is not retrieval but re-experiencing. A face does not appear as a composite of features but as a presence—a lived, meaningful whole, emerging from context and history. The speaker’s frustration at the inability to draw those remembered faces illustrates this disjunction between visual memory and visual representation: memory does not reproduce reality as a camera would; it reactivates relational, emotional, and contextual webs of experience.
The Aesthetics of Recognition
The speaker transitions from theory to anecdote, describing how their ability to recognize faces can be a nuisance—such as when actors in films are recalled from previous roles. This “curse of recognition” is telling, not just in how memory intrudes upon experience, but in how faces become symbolic across time. Here, we can detect a literary echo of Proust, for whom memory is not voluntary but involuntary, surfacing unbidden and reconfiguring the present. Just as the taste of the madeleine triggered a flood of recollection in In Search of Lost Time, so too does a familiar face recall a network of prior associations that have little to do with raw data and everything to do with subjective context.
This contextual activation is, in the speaker’s view, more convincing than the reductive sender-receiver model. The “triggering” of something by a face—an emotion, a half-forgotten scene, a name—is closer to poetic association than to algorithmic response. It suggests that memory is not archival, but narrative; not neutral, but affective.
Identity and Physiognomy
The mention of the University of Greenwich's “super recognizer” test introduces the notion of exceptional memory for faces. But what exactly is being recognized? The speaker muses that recognition likely hinges not on exact visual detail but on associative traces linked to a particular physiognomy. The idea that a face, even altered by time or facial hair, can still “bring back” a previous association implies that identity is not fixed in appearance but in the continuity of effect it has on us.
This idea brings to mind the concept of the trace in Derrida’s philosophy—the idea that meaning is always deferred and constructed in relation to what has been and what will be. The face, in this light, is not a static image but a palimpsest of traces—emotional residues, fragments of past encounters, unspoken connections.
Conclusion: Memory as Relational Encounter
The dialogue thus evolves from a simple question about facial memory into a subtle meditation on how we know others—and ourselves. It critiques the notion of memory as mechanical storage and instead gestures toward a model rooted in meaning, association, and relational presence.
The ability to recognize a face is not about data retention but about resonance. In this way, the face becomes not a code to be deciphered, but a presence that speaks—sometimes quietly, sometimes insistently—of past entanglements. In that sense, as Levinas might suggest, the face is not just something we see, but something that addresses us, calling us into a shared space of memory and meaning.