Dieser Vortrag ein poetisch-philosophischer Streifzug entlang der Ränder unseres Denkens. Er reflektiert die existenzielle Unvermeidlichkeit des Gehens, die metaphysische Frage nach dem „Warum“ und die erkenntnistheoretische Begrenztheit unseres Weltzugangs. Dabei wird der klassische Gegensatz von Sein und Nichts nicht gelöst, sondern ironisch gebrochen, relativiert, dekonstruiert – und durch einen neuen Gegensatz ersetzt: den zwischen dem sicheren Schritt und dem unbegriffenen Stillstand.
Liebe Zuhörer!
Sicher sein kann man für sich. Die einzig mögliche Sicherheit. So geht man dahin. Auch wenn man vielleicht schon dort war. Doch geht man weiterhin dahin. Denn wo sollte man sonst auch hingehen? Vielleicht hierhin oder dorthin? Am Ende geht man doch dahin. Das ist sicher und auch für sich. Jeder Schritt ist ein sicherer Schritt. Denn die Handlung, der wieder nächste Schritt, dessen Sicherheit kaum bestritten werden kann, ist unausweichlich, findet mit Sicherheit statt. Selbst der zur Auflösung führende Schritt besitzt absolute Sicherheit. Und irgendwann, manchmal auch vollkommen überraschend, ist der Schritt zur Auflösung die einzig mögliche Lösung. So geht man dahin, oder erstmal hierhin und dorthin. Entweder als ein Veränderliches mit einer gewissen Kontinuität, oder auch als ein Aufgelöstes, dessen Viele nun jedes für sich ihre sicheren nächsten Schritte vollziehen.
Soviel zur Sicherheit des Sich. Möglicherweise viel zu viel. Warum ich das hier erwähnt habe? Da bin ich mir gar nicht so sicher. Ich glaube, das hatte irgendetwas mit so einem Gefühl zu tun. Kaum war es da, war es auch schon wieder weg. Und das war es dann auch schon. Gibt es dazu irgendwelche Fragen? Vielleicht philosophischer Natur? Das wäre nicht schlecht. Man könnte beispielsweise fragen, was genau zwischen den einzelnen sicheren Schritten passiert und warum sie überhaupt passieren? Oder etwas plakativer ausgedrückt: Warum passiert überhaupt etwas und nicht nichts? Eine herrliche Fragestellung von unzweifelhaft philosophischer Natur!
Vielen Dank, liebe Zuhörer, dass Sie so weit gefolgt sind. Da konnte ich mir wirklich nicht sicher sein. Doch da wir nun diese leidige Einleitung endlich hinter uns gelassen haben, wollen wir mit dem Hauptteil fortfahren, und der hat es für sich wirklich in sich. Worum geht es im Hauptteil? Was sich anbietet, ist weiterzumachen bei der Fragestellung (von philosophischer Natur), warum eigentlich nicht nichts passiert. Uns allen ist zwar das Ergebnis bekannt, nämlich dass immer etwas existiert und nicht nichts, und sei es nur die Abwesenheit von etwas, doch weshalb immer etwas passiert, das scheint eher unbekannt zu sein. Ich sage bewusst nicht, dass es im Dunkeln liegt, denn das Nichts der Dunkelheit ist schließlich nur die Abwesenheit von etwas, und man kann zwar nichts sehen, wenn man seine Augen schließt, doch sieht man außerhalb seines Gesichtsfeldes bekanntlich auch nichts, und da ist es ja alles andere als dunkel. Definitiv zwei Arten von Nichts, die genau zu unterscheiden sind. Das bedeutet, wenn wir mehr erfahren wollen über diese zweite Art des Nichts, dann nützt uns die ganze Lichtmetaphorik überhaupt nichts. Hier sind wir wieder einmal an unserer nur zu gut bekannten Grenze angelangt, die uns gegeben ist durch unsere Art der Existenz als biologische Wesen mit den Sinnesorganen und was da noch so alles dranhängt (angeblich ganze philosophische Richtungen). Das bedeutet aber auch, dass wir diese Grenze nur überschreiten können, indem wir Abstand nehmen von allem, was letztendlich seine Ursache hat in dieser Daseinsform, und das ist, ich bin mir sicher, dass Sie schon darauf gewartet haben, wann ich es endlich zur Sprache bringen würde, es ist natürlich das ganz klassische Weltbild, das sich in Sein und Nichts erschöpft, möglicherweise, je nach Konditionierung, auch mit ein wenig Geist oder ähnlichen abstrakten Konstrukten menschlicher Einbildungskraft versetzt, wegen der Lebendigkeit, was die Sache nicht besser oder schlechter macht.
Doch zurück zur Frage. Zumindest eines kann Ihnen versichern, meine lieben Zuhörer. Falls es doch einmal soweit sein sollte, dass nichts mehr passiert, würden wir das gar nicht erkennen können. Und dann hätten wir schließlich und endlich das Dahin erreicht. Doch heute soll es nur noch hierhin und dorthin gehen. Am besten nach Hause. Gute Nacht!
Analyse
Der Vortrag „Dunkelheit, Geist, Nichts“ ist kein gewöhnlicher philosophischer Traktat, sondern ein performativer Text, der zwischen existenzieller Reflexion, sprachlicher Ironie und metaphysischer Tiefenbohrung changiert. Er setzt sich mit der Sicherheit des Selbst, der Unerklärbarkeit des Geschehens und der Frage nach dem „Warum etwas und nicht nichts?“ auseinander – einem der fundamentalsten Probleme der Metaphysik. Dabei tritt der Text bewusst die Schwelle zwischen Klarheit und Unschärfe mit Füßen und fordert vom Leser nicht nur ein Verständnis, sondern ein Mitgehen – ein Sich-Einlassen auf eine Denkbewegung ins Offene.
1. Die Sicherheit des Schritts und das Sich
Der Vortrag beginnt mit einer paradoxen Formulierung: „Sicher sein kann man für sich. Die einzig mögliche Sicherheit.“ Was hier anklingt, ist ein existenzielles Motiv, das bereits bei Kierkegaard oder Heidegger zentrale Bedeutung hatte: Die radikale Subjektivität. Doch anders als in der protestantisch-existenziellen Verzweiflung Kierkegaards oder in Heideggers Geworfenheit erscheint das Subjekt hier merkwürdig automatisiert: Der Schritt folgt auf den Schritt, weil es keine Alternative gibt. Sicherheit ist keine Erkenntnis, sondern Bewegung – „unausweichlich“, wie es heißt.
Der Mensch geht – ob er will oder nicht. Dieses Gehen dahin, hierhin oder dorthin ist Ausdruck einer fundamentalen Passivität innerhalb einer vermeintlichen Aktivität. Der Vortrag verkehrt damit den klassischen Begriff des Willens (etwa bei Nietzsche) in einen fast zynischen Automatismus: Nicht der Wille treibt voran, sondern die Abwesenheit von Alternativen.
2. Die große Frage: Warum überhaupt etwas?
Im Zentrum des Vortrags steht die große metaphysische Frage, die Leibniz zuerst in dieser Form formulierte: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“ Der Sprecher nennt sie „herrlich“ und „unzweifelhaft philosophischer Natur“, womit er gleichzeitig ihre Tiefe und ihre Unerreichbarkeit markiert.
Der Vortrag nähert sich dieser Frage nicht systematisch, sondern assoziativ, tastend, fast beiläufig. Doch gerade in dieser scheinbaren Beiläufigkeit liegt eine tiefe Wahrheit: Die Frage nach dem „Warum“ verweist notwendigerweise auf die Grenzen unseres Denkens. Wir fragen sie aus einer Position heraus, die bereits etwas ist – wir sind im Etwas, fragen aber nach dem Nichtsein. Dieser erkenntnistheoretische Paradox erinnert an Wittgenstein, der in seinem Tractatus feststellt: „Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems.“
3. Dunkelheit und Nichts – Zwei Formen der Abwesenheit
Ein bemerkenswerter Abschnitt beschäftigt sich mit dem Unterschied zwischen zwei Formen des Nichts: jenem, das wir beim Schließen der Augen als Dunkelheit erfahren, und jenem, das außerhalb unseres Gesichtsfelds „auch nichts“ ist – aber nicht dunkel. Diese Unterscheidung verweist auf eine zentrale Erkenntnis in der Philosophie der Wahrnehmung: Das Nichts ist kein einheitlicher Begriff.
In Kants Erkenntnistheorie ist das Nichts keine „negative Realität“, sondern ein Mangel an Anschauung. Doch hier geht der Vortrag weiter – er postuliert, dass es verschiedene Qualitäten des Nichts gibt, die nicht durch Lichtmetaphorik zugänglich sind. Diese Überlegung führt zu einer Kritik an der klassischen abendländischen Philosophie, die, geprägt von Platon bis Hegel, Sein und Nichts stets als Gegensatzpaar, als dialektische Spannung, verstanden hat.
Stattdessen schlägt der Text vor, dass unser Zugang zur Welt durch unsere Daseinsform (biologisch, sensorisch, konstruierend) beschränkt ist. Hier sind Parallelen zur phänomenologischen Kritik bei Merleau-Ponty oder zur epistemischen Kritik bei Thomas Nagel („What is it like to be a bat?“) zu finden: Wir können das, was außerhalb unserer Erfahrung liegt, nur in Metaphern erfassen – doch in Bezug auf das Nichts versagen diese.
4. Gegen das Weltbild: Sein, Nichts und ein bisschen Geist
Mit ironischer Distanz wird schließlich das klassische Weltbild aufs Korn genommen:
„...das sich in Sein und Nichts erschöpft, möglicherweise, je nach Konditionierung, auch mit ein wenig Geist oder ähnlichen abstrakten Konstrukten menschlicher Einbildungskraft versetzt...“
Diese Formulierung bringt eine erkenntniskritische Pointe zum Ausdruck: Das dualistische Denken in Sein und Nichts ist selbst ein Produkt menschlicher Einbildungskraft – ein kognitives Modell, das auf unsere sensorische Ausstattung zurückzuführen ist. Der „Geist“ wird dabei nicht idealistisch erhöht, sondern als abstraktes Nebenprodukt unserer Daseinsform entlarvt. Damit wird ein radikaler Konstruktivismus angedeutet: Was wir für ontologische Wahrheiten halten, ist letztlich eine Funktion unserer Bedingtheit als biologische Subjekte.
5. Das letzte Nichts: Der Zustand, den wir nicht erkennen könnten
Am Ende kehrt der Vortrag zurück zum Anfang: Sollte es je eintreten, dass nichts mehr passiert, dann könnten wir es gar nicht merken. Diese Erkenntnis erinnert stark an Thomas Metzinger und die Bewusstseinsphilosophie der Neuzeit: Wenn das Bewusstsein erlischt, bleibt keine Instanz übrig, die das registrieren könnte. Das letzte Nichts ist nicht erfahrbar, sondern ontologisch absolut – was wiederum an das „Nichts“ bei Heidegger erinnert, das „nichts“ nur, weil es sich jeder begrifflichen und sinnlichen Fassung entzieht.
Fazit: Zwischen Schritt und Stillstand
„Dunkelheit, Geist, Nichts“ ist kein systematischer Vortrag, sondern ein poetisch-philosophischer Streifzug entlang der Ränder unseres Denkens. Er reflektiert die existenzielle Unvermeidlichkeit des Gehens, die metaphysische Frage nach dem „Warum“ und die erkenntnistheoretische Begrenztheit unseres Weltzugangs. Dabei wird der klassische Gegensatz von Sein und Nichts nicht gelöst, sondern ironisch gebrochen, relativiert, dekonstruiert – und durch einen neuen Gegensatz ersetzt: den zwischen dem sicheren Schritt und dem unbegriffenen Stillstand.
Wenn wir dahin gehen, wie der Text immer wieder sagt, dann nicht zu einem Ziel, sondern zu einem Ort, den wir nicht erkennen können. Und wenn einmal nichts mehr geschieht, werden wir es nicht merken.
Bis dahin geht es – hierhin, dorthin.
Am besten nach Hause.
Literaturhinweise / Philosophische Bezüge:
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Gottfried Wilhelm Leibniz: Principes de la nature et de la grâce fondés en raison (1714)
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Martin Heidegger: Was ist Metaphysik? (1929)
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Ludwig Wittgenstein: Tractatus Logico-Philosophicus (1921)
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Maurice Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung (1945)
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Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel (2009)
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Laozi: Dao De Jing (zur Idee des Nicht-Tuns und des paradoxen Seins)