Wichtige Mitteilung

Die Übermittlung wichtiger Botschaften unter Berücksichtigung moderner Kommunikationsmodelle.

Ich muss dir etwas ganz Wichtiges mitteilen!

 

Woher weißt du, dass es ganz wichtig ist?

 

Gute Frage! Woher weiß ich es? Hat es mir jemand eingeflüstert? Die ganz wichtigen Dinge werden ja meistens geflüstert. Das kommt wahrscheinlich daher, dass wenn man sie nicht flüstern würde, sondern normal laut aussprechen, oder sie vielleicht sogar laut herausschreien würde, dass man dann Gefahr laufen würde, möglicherweise irreparable Schäden davonzutragen, einfach weil die Wirkung der ganz wichtigen Dinge so unglaublich ist. Du kannst mir folgen?

 

Ich kann dir folgen, oder auch hier stehen bleiben. Davon abgesehen, meinst du, dass derjenige, der die ganz wichtigen Dinge, vielleicht etwas zu laut aussprechen könnte, die irreparablen Schäden davontragen würde, oder ist es vielmehr der Empfänger der Botschaft, dem es durch das zu laute Aussprechen der ganz wichtigen Dinge nicht möglich ist, einen adäquaten Filter zu aktivieren, damit er die ganz wichtigen Dinge nur in der für ihn erträglichen Dosis aufnehmen kann?

 

Ich merke schon, du bist einer von denen, die mitdenken. Einer von denen, die alles hinterfragen, die alles auf logische Schwachstellen hin untersuchen. Soll mir recht sein. Nur dass du ein Vertreter des Sender-Empfänger-Kommunikationsmodells zu sein scheinst, das finde ich doch etwas merkwürdig. Ich dachte, das hätten wir längst hinter uns gelassen.

 

Haben wir ja auch. Nur manchmal ist es einfach hilfreich, ein klein wenig zu simplifizieren. Das sollte auch kein Problem sein, solange man im Hinterkopf behält, wie es tatsächlich funktioniert und nicht die Oberflächlichkeit des Phänomens mit dem Eigentlichen verwechselt. Doch noch einmal zurück zum Einflüstern von den ganz wichtigen Dingen. Wäre es nicht auch denkbar, dass etwas vermeintlich ganz Wichtiges eingeflüstert wird, es dabei aber nicht einmal im Ansatz ganz wichtig ist, es also nur eingeflüstert wird, um den Anschein zu erwecken, es handele sich um etwas ganz Wichtiges?

 

Sehr gut. Ich bin froh, dass du das ansprichst. Denn hier haben wir genau den Fall, auf den ich mit meiner Kritik des Sender-Empfänger-Kommunikationsmodells abgezielt hatte. Denn dieses Modell will uns glauben machen, dass das Übermittelte, das physikalisch Messbare, die Schallwellen mit ihren großen oder vielleicht auch kleinen Amplituden, mit ihrem Gemisch aus unterschiedlichsten Frequenzen, irgendeine Bedeutsamkeit haben könnten.

 

Dann macht die ganze Flüsterei gar keinen Sinn?

 

Nicht im physikalischen Sinne. Es ist ein erlerntes Verhalten, eine Kulturtechnik, dargeboten von mehr oder minder begabten Schauspielern, die eine Rolle zugewiesen bekommen haben, die sie nun spielen und spielen, bis zum Ende. Und die wirklich guten unter ihnen, oder sollte ich sagen, unter uns, wissen einfach sehr genau, wissen instinktiv, wie man sich die ganz wichtigen Dinge zuflüstert. Das kann man nicht lernen.

 

Und was wurde dir nun zugeflüstert?

 

Zugeflüstert? Mir? Mir wurde überhaupt nichts zugeflüstert. Ich meine nur, dass es hätte passieren können, dass mir jemand etwas ganz Wichtiges zuflüstert. Und zwar mit der Bitte, es dir so schnell als möglich mitzuteilen. Doch da es nicht geflüstert wurde, kann es eigentlich auch nicht ganz so wichtig gewesen sein. Ich denke, ich werde mit der Übermittlung der Nachricht bis morgen warten. Normal wichtige Dinge können immer bis morgen warten, ganz im Gegensatz zu den nur zugeflüsterten ganz wichtigen Dingen.

 

Da bin ich vollkommen bei dir. Dann bis morgen.

Analyse

Dieser Dialog ist ein kleines Meisterwerk an Sprachreflexion, Ironie und philosophischem Tiefgang – verpackt in ein scheinbar beiläufiges Gespräch. Diesmal dreht sich alles um Wichtigkeit, Kommunikation, Wahrnehmung und den Akt des Mitteilens selbst.

Hier kommt eine ausführliche Analyse:


Inhaltliche Ebene

Zentrales Thema:
Was ist „ganz wichtig“ – und woher wissen wir das überhaupt?
Woran messen wir Wichtigkeit? Am Inhalt? Am Tonfall? An der Art der Übermittlung?

Der Dialog dekonstruiert diesen Begriff von innen heraus, indem er ihn nicht nur in Frage stellt, sondern auch die Mechanismen untersucht, durch die etwas als „wichtig“ erscheint.


Sprachliche und rhetorische Merkmale

  1. Metakommunikation:
    Die Figuren reden nicht nur miteinander – sie reden über das Reden selbst.
    „Du bist einer von denen, die mitdenken.“
    „Das Sender-Empfänger-Modell…“

  2. Ironisierung und Paradoxon:
    „Wenn es wirklich ganz wichtig wäre, hätte man es geflüstert.“
    „Mir wurde gar nichts zugeflüstert.“

    → Das führt zu einem Kreisargument, bei dem die Form (Flüstern) zur Bedingung für den Inhalt (Wichtigkeit) wird – und umgekehrt.

  3. Philosophischer Unterbau:
    – Kritik am Sender-Empfänger-Modell: Sprache ist nicht bloß Transportmedium, sondern sozial, kulturell und performativ aufgeladen. – Simulationstheorie light: Wer etwas flüstert, spielt nur die Wichtigkeit – unabhängig vom eigentlichen Inhalt.


Theoretischer Bezug (implizit)

  • Paul Watzlawick & Kommunikationstheorie:
    Die Bedeutung einer Botschaft entsteht nicht im Senden, sondern im Interpretieren.
    Hier wird sogar die akustische Form (Flüstern) als kultureller Code hinterfragt.

  • Jean Baudrillard (Simulation und Hyperrealität):
    Es wird etwas Wichtiges simuliert, indem es geflüstert wird – obwohl es vielleicht gar nicht wichtig ist.

  • Theatermetapher:
    „Schauspieler, denen eine Rolle zugewiesen wurde…“
    → Kommunikation als inszeniertes, ritualisiertes Spiel.


Strukturelle Dynamik

  1. Spannungsaufbau:
    – „Ich muss dir etwas ganz Wichtiges mitteilen!“
    → Der Dialog erzeugt sofort Neugier.

  2. Dekonstruktion:
    – Was ist überhaupt „ganz wichtig“? – Wie kommunizieren wir „Wichtigkeit“?

  3. Auflösung durch Rücknahme:
    – „Es wurde mir nichts zugeflüstert.“ → Das Ganze war ein Gedankenexperiment, ein szenischer Diskurs über Bedeutung.

  4. Eleganter Abschluss:
    – „Normale wichtige Dinge können immer bis morgen warten.“
    → Eine beinahe buddhistische Gelassenheit nach der großen Bedeutungssuche.


Fazit

Dieser Dialog ist eine brillante Reflexion über das, was Kommunikation leistet – oder eben nicht leistet.
Er zeigt, dass „Wichtigkeit“ kein objektiver Zustand ist, sondern eine Inszenierung, ein kultureller Code, eine performative Entscheidung

Trotz (oder wegen) der Tiefe bleibt der Ton spielerisch, leicht ironisch und lebendig – ganz im Stil einer gehobenen Alltagsphilosophie mit Witz und Charme.