Immer ist irgendwo etwas

Der Text lädt dazu ein, die Welt mit neuen Augen zu sehen – oder vielmehr: mit einem skeptisch-poetischen Blick. Er zeigt, dass unsere Vorstellung von Normalität stets durch Gewohnheit geprägt ist, nicht durch objektive Ordnung. Das vermeintlich Banale trägt genauso viel philosophisches Gewicht wie das Absurde.

Da ist nichts!

 

Doch, da ist was! Glaub mir!

 

Und was?

 

Etwas!

 

Etwas? Ist nicht immer irgendwo etwas?

 

Das schon. Aber was ist, wenn plötzlich etwas da auftaucht, wo man es gar nicht erwartet?

 

Ich rechne immer mit allem. Keine Überraschungen.

 

Und wenn plötzlich ein rosa Elefant vorbeifliegt?

 

Dafür gibt es sicher eine Erklärung. Sowohl Elefanten als auch die Farbe rosa sind mir durchaus bekannt. Warum nicht einmal in dieser Kombination? Nicht überraschend. Im Gegenteil. Eigentlich warte ich schon die ganze Zeit darauf, dass endlich mal so etwas passiert. Ich finde sogar, dass viel mehr solche Dinge passieren sollten. Was mich wirklich überrascht, dass so wenige von diesen Dingen passieren. Hat vermutlich was mit Wahrscheinlichkeit oder so zu tun. Die Dinge, die ständig passieren, sind auch nicht kurioser als vorbeifliegende rosa Elefanten. Man hat sich nur einfach daran gewöhnt. Kennt es nicht anders. So, jetzt habe ich irgendwie den Faden verloren. Was wolltest du eigentlich nochmal sagen?

 

Das weiß ich jetzt auch nicht mehr. Sollen wir versuchen, das Gespräch zurückzuverfolgen?

 

Was soll das bringen? Wahrscheinlich war der Ursprung nicht so wichtig. Entscheidend ist, wo wir jetzt stehen.

 

Und wo stehen wir?

 

Na, hier!

 

Stimmt! Und das ist doch ganz gut, oder?

 

Klar, hier steht es sich hervorragend. Obwohl ich mich auch mal gern hinsetze. Auf die Dauer ist dieses Herumstehen nichts für mich.

 

Wir könnten auch ein paar Schritte gehen.

 

Und wohin?

 

Keine Ahnung. Überraschen lassen?

 

Was soll es schon Überraschendes geben? Vielleicht vorbeifliegende rosa Elefanten? Von denen habe ich schon gehört. Die sind wohl nicht so ungewöhnlich.

 

Stimmt. Darüber wurde jedenfalls schon gesprochen. Oder ich habe darüber gelesen. Weiß nicht mehr so genau. Man kann sich ja nicht alles merken. Noch irgendetwas?

 

Das ist schon alles.

Analyse

Einleitung

Der Text „Immer ist irgendwo etwas“ entwirft ein absichtlich loses, fast beiläufiges Gespräch, das dennoch philosophisch hochgradig relevant ist. Er kreist um Fragen der Wahrnehmung, Erwartung, Realität und Gewohnheit. In seiner scheinbaren Belanglosigkeit versteckt sich eine tiefe Reflexion über das, was wir Realität nennen – und darüber, wie uns das Alltägliche oft als normal, das Überraschende dagegen als unwahrscheinlich erscheint.

Im Zentrum steht ein paradoxes Phänomen: Wir rechnen mit allem – und sind trotzdem überrascht, dass nichts Überraschendes passiert.

 

1. Zwischen Nichts und Etwas – Die ontologische Unruhe

„Da ist nichts!“
„Doch, da ist was! Glaub mir!“

Die Konfrontation mit dem vermeintlich Leeren führt direkt in die Grundfragen der Ontologie: Was ist? Was ist etwas – und wann ist da nichts?

Der scheinbar banale Disput erinnert an die Diskussionen der Existenzphilosophie und des Nihilismus. Bereits Parmenides formulierte den berühmten Satz: „Das Sein ist, das Nichtsein ist nicht.“ Doch in der modernen Philosophie wurde genau dieses Nichtsein wieder zum Thema – etwa bei Martin Heidegger, der in „Was ist Metaphysik?“ fragt: „Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?“

Die Pointe des Textes: Selbst das Nichts ist nicht leer – irgendetwas ist immer irgendwo. Damit wird die Suche nach dem „reinen“ Nichts als vergeblich entlarvt. Die Welt ist durchdrungen von Anwesenheit, selbst wenn wir sie nicht sofort erkennen.

 

2. Der rosa Elefant – Die Logik des Unwahrscheinlichen

„Und wenn plötzlich ein rosa Elefant vorbeifliegt?“
„Dafür gibt es sicher eine Erklärung...“

Der rosa Elefant fungiert als klassisches Beispiel für das Absurde, das Unerwartete, das Konstrukt des Unwirklichen, wie man es auch in den surrealen Bildern von René Magritte oder in den Absurditäten von Lewis Carroll (z. B. „Alice im Wunderland“) findet.

Doch der Text verkehrt das Motiv: Der Gesprächspartner ist nicht überrascht. Er hat mit allem gerechnet. Das Ungewöhnliche wird zur Regel, das Überraschende entzaubert. Dies erinnert an David Hume’s Kritik der Kausalität: Unsere Erwartungen entstehen durch Gewohnheit – nicht durch Notwendigkeit. Dass ein rosa Elefant nicht vorbeifliegt, ist keine logische Gewissheit, sondern bloß eine Frage der Wahrscheinlichkeit.

„Die Dinge, die ständig passieren, sind auch nicht kurioser als vorbeifliegende rosa Elefanten. Man hat sich nur einfach daran gewöhnt.“

Hier schwingt auch ein Hauch Camus mit – das Absurde liegt nicht im Ereignis, sondern in unserer Wahrnehmung der Welt. Alles ist potenziell absurd – oder banal – abhängig von unserem Blick.

 

3. Die Entgleisung des Gesprächs – oder: Der Sinn des Sinnverlusts

„So, jetzt habe ich irgendwie den Faden verloren. Was wolltest du eigentlich nochmal sagen?“
„Das weiß ich jetzt auch nicht mehr.“

Der Text verweigert ein Ziel, eine Pointe, eine konventionelle Struktur. Der Gesprächsfaden reißt – und wird nicht wieder aufgenommen. Stattdessen folgt die Absage an das Ursprüngliche:

„Wahrscheinlich war der Ursprung nicht so wichtig. Entscheidend ist, wo wir jetzt stehen.“

Dies ist ein klarer Bezug zur postmodernen Philosophie, insbesondere zur Absage an teleologische Denkmuster (kein Ziel, kein Fortschritt, kein Finale). Was zählt, ist die Position im Jetzt – ein Denken in situativer Präsenz. Hier könnte man an Jean-François Lyotard und dessen Skepsis gegenüber Meta-Erzählungen denken, die das Gesprächsende durch Zielgerichtetheit festlegen wollen.

Die im Text angedeutete „Verlorenheit“ ist keine Niederlage, sondern ein Zustand produktiver Offenheit – ein Denken, das nicht auf das Ziel fixiert ist, sondern auf das Wandern im Denken selbst.

 

4. Bewegung im Denken – Schritte ohne Richtung

„Wir könnten auch ein paar Schritte gehen.“
„Und wohin?“
„Keine Ahnung. Überraschen lassen?“

Das Gehen als Bewegung ohne klares Ziel kann als Metapher für das philosophische Denken gelesen werden: ein offenes Umherschweifen, ohne Festlegung auf ein Ende. Dies erinnert an Sokrates’ Gesprächsführung, die nicht auf Lösungen, sondern auf Erkenntnisprozesse ausgerichtet ist.

Die Offenheit für Überraschung wird wiederum ironisch unterlaufen: Die Idee der Überraschung verliert ihren Reiz, wenn sie zur Gewohnheit wird:

„Vielleicht vorbeifliegende rosa Elefanten?“
„Von denen habe ich schon gehört. Die sind wohl nicht so ungewöhnlich.“

Das Besondere wird gewöhnlich – das Wunder verwaltet. In einer Welt ständiger Information und Simulation (vgl. Jean Baudrillard: Die Transparenz des Bösen) wird das Unwahrscheinliche normalisiert. Der rosa Elefant hat längst seine Unschuld verloren.

 

Fazit: Das Etwas im Immer

Der Text „Immer ist irgendwo etwas“ lädt dazu ein, die Welt mit neuen Augen zu sehen – oder vielmehr: mit einem skeptisch-poetischen Blick. Er zeigt, dass unsere Vorstellung von Normalität stets durch Gewohnheit geprägt ist, nicht durch objektive Ordnung. Das vermeintlich Banale trägt genauso viel philosophisches Gewicht wie das Absurde.

Das Gespräch endet unspektakulär:

„Noch irgendetwas?“
„Das ist schon alles.“

Und doch war dieses Alles nie selbstverständlich. Vielleicht besteht das wahre Wunder – wie Wittgenstein nahelegt – nicht im Spektakulären, sondern im Fakt, dass überhaupt etwas ist.

 

Literaturverweise:

  • Martin Heidegger: Was ist Metaphysik?

  • David Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand

  • Albert Camus: Der Mythos des Sisyphos

  • Ludwig Wittgenstein: Tractatus Logico-Philosophicus

  • Jean Baudrillard: Die Transparenz des Bösen

  • Jean-François Lyotard: Das postmoderne Wissen