Der Vortrag ist eine Meditation über die Grenzen des Denkens. Er zeigt, dass der Versuch, etwas zu erkennen, immer schon innerhalb einer Struktur stattfindet, die das Erkennen formt – und beschränkt. Wer aufbricht, um das Unbekannte zu entdecken, bringt unweigerlich seine Denkformen mit – und entdeckt daher nur sich selbst im Spiegel des Fremden.
Meine lieben Entberger,
wäre uns nicht allen wohler, wenn wir wüssten, worum es geht? Diese Frage als kurze Zusammenfassung der heutigen Problematik, die sich ganz leicht in weitere Problemchen zerlegen lässt. Hier noch ein kleiner Hinweis: Der Pfad des Zerlegens, den wir nun beschreiten werden, ist ein Holzweg. Nichtsdestotrotz werden wir diesen Weg fortsetzen, bis wir uns vollständig verirrt haben werden und, das ist das Schöne dabei, diese komplette Verirrung und Verwirrung sich genauso anfühlen wird wie der Ausgangspunkt, an dem wir uns in gerade diesem Moment befinden. Das liegt möglicherweise daran, dass wir tatsächlich keinen einzigen Schritt vorwärts gekommen sein werden. Macht aber nichts. Das geht den meisten so. Und es gibt wie immer viel zu besprechen. So viel, dass es für mehr als ein Leben reicht und sich auch die nachfolgenden Generationen keine Gedanken machen müssen, irgendwelches Neuland zu betreten. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir Teil einer mehrtausendjährigen Tradition sind, auf die sich leicht berufen werden kann. Und das wird auch getan. Doch zurück zum Ausgangspunkt, der, ich denke, das ist uns allen klar geworden, angesiedelt zwischen Holzweg und Dickicht, durchaus geeignet ist, jegliches Verlassen liebgewonnener Pfade zu vermeiden. Worum es geht? Genau das ist es. Es, was auch immer damit gemeint sein könnte, bewegt sich um etwas herum, ein Etwas, worüber auch nicht so viel bekannt ist, da es wohl erst durch das sich Herumbewegen begreifbar gemacht werden soll, nur weiß keiner, ob dieses Etwas überhaupt etwas dinglich Begreifbares ist. Das Gehen selbst ist gar nicht so schlecht, auch wenn es vielleicht überhaupt nichts zu sehen gibt. Das zur Situation. So von außen betrachtet, klingt das alles recht belanglos. Die Betroffenen werden das anders sehen. Dort steht die Mission im Vordergrund, bei der es darum geht, ein Etwas aus der Dunkelheit ans Licht zu bringen. In zusammengefasster Form stellt sich das Ganze wie folgt dar: Es gibt das Unbekannte. Darüber sind sich die Individuen einig. Es gilt, dieses Unbekannte zu Ent-decken. Die Annahme ist demnach, dass dieses Unbekannte von gleicher Natur ist wie das Bekannte, nur dass es eben verborgen ist. Und da diese Annahme zwangsläufig zu dem oben beschriebenen, liebgewordenen Dilemma führen muss, wollen wir jetzt die in diesem Zusammenhang einzig sinnvolle Frage stellen: Wie kommt es zu dieser Annahme? Das ist gar nicht so schwer zu verstehen, wenn man sich klarmacht, dass man überhaupt nur in der Lage sein kann, etwas aus der Dunkelheit ans Licht zu bringen, wenn man selbst bereits im Licht steht. Eine, von außen betrachtet, nicht sehr interessante, im Allgemeinen aber durchaus funktionierende, Weltvorstellung. Letztendlich geht es doch bei derartigen Diskussionen immer nur darum, den logischen Ort zu bestimmen, für den eine Aussage gilt. Innerhalb oder außerhalb des oben beschriebenen klassischen Weltbildes. In diesem Sinne. Gute Nacht!
Analyse
Einleitung: Das „Es“ im Nebel
Der Vortrag „Holzweg und Dickicht“ beginnt mit einer einfachen, fast naiv wirkenden Frage: „Wäre uns nicht allen wohler, wenn wir wüssten, worum es geht?“ – Diese Frage stellt sich als das Fundament philosophischen Fragens selbst heraus. Es ist eine Art Ursprungsform der Unsicherheit, mit der sich jede ernsthafte Philosophie auseinandersetzen muss: die Ungewissheit des Gegenstands.
Was folgt, ist keine systematische Analyse, sondern ein rhetorisch-ironischer Gang durch das Dickicht des Denkens. Der Vortrag nimmt die Metapher des „Holzwegs“ ernst – eine Anspielung auf Martin Heidegger, der in seinem Werk „Holzwege“ (1950) betont, dass solche Wege nicht zum Ziel führen, sondern in die Irre. Doch gerade in dieser Irre liegt die philosophische Wahrheit: Nicht das Ziel zählt, sondern der Weg – das Fragen, das Suchen, das Verirren.
1. Der Holzweg als erkenntnistheoretisches Modell
Der „Holzweg“ steht hier sinnbildlich für eine bestimmte Bewegung des Denkens: Zerlegung ohne Ergebnis, Bewegung ohne Fortschritt, Erkenntnis ohne Objekt. Der Vortrag spricht davon, dass man sich auf einen Weg macht, nur um am Ende genau dort zu landen, wo man begonnen hat – mit dem paradoxen Ergebnis, dass es sich trotzdem wie Fortschritt anfühlt.
Diese Kritik richtet sich gegen den Fortschrittsglauben traditioneller Erkenntnistheorien, die unterstellen, dass jede Suche nach Wissen notwendigerweise zu einer „Entbergung“ führt – dass das Unbekannte nur das noch-nicht-Bekannte sei. Diese Vorstellung setzt jedoch voraus, dass das Unbekannte von gleicher Natur wie das Bekannte sei – eine Annahme, die vom Vortrag scharf in Frage gestellt wird.
Der Holzweg führt hier nicht zum Ziel – sondern zur Einsicht in die Grenzen der Orientierung. Erkenntnis wird nicht als lineare Aufdeckung, sondern als Zirkelbewegung erfahrbar. Man geht – aber kommt nicht „weiter“. Und doch geschieht dabei etwas Wesentliches: Das Infragestellen des „Geht überhaupt wohin?“.
2. Entbergen, Entdecken – und das Licht der Erkenntnis
Die zentrale Metapher des Vortrags ist die Bewegung „aus der Dunkelheit ins Licht“. Diese steht traditionell für das Ideal der Aufklärung, des Wissens, der Wissenschaft – für das, was Platon in seinem Höhlengleichnis beschreibt (Politeia, Buch VII). Doch diese Bewegung wird hier ironisch gebrochen.
„Die Annahme ist demnach, dass dieses Unbekannte von gleicher Natur ist wie das Bekannte, nur dass es eben verborgen ist.“
Hier liegt das epistemologische Problem: Die Vorstellung, dass Erkenntnis lediglich eine Enthüllung ist, setzt ein bereits bekanntes Raster voraus. Das Unbekannte wird nicht als radikal anders gedacht, sondern nur als verdeckt. Dieses Denken bleibt innerhalb eines klassischen Weltbilds, das von Subjekt-Objekt-Dualismen, Sichtbarkeit, Dinglichkeit und Positionalität ausgeht.
Der Vortrag dekonstruiert diese Haltung, indem er zeigt: Wir nehmen uns selbst schon im Licht wahr – nur deshalb können wir das Unbekannte als „im Dunkeln liegend“ begreifen. Es ist eine rückbezügliche Illusion der Erkenntnis, die davon ausgeht, außerhalb ihrer selbst stehen zu können.
3. Mission des Denkens – oder bloße Wiederholung?
Die „Mission“, etwas zu ent-decken, erscheint auf den ersten Blick als edles Unterfangen. Doch der Vortrag macht klar: Diese Mission ist nichts anderes als ein endloser Zirkel. Sie ist ein selbstreferenzieller Akt, der innerhalb eines Rahmens operiert, den er nie verlässt. So entsteht das Gefühl von Tiefe und Bewegung – obwohl nichts Neues geschieht.
„Ein Etwas aus der Dunkelheit ans Licht zu bringen.“
Doch dieses „Etwas“ ist unbestimmt, ungreifbar – vielleicht sogar ein Phantom der Denkform selbst. Die Vorstellung, dass da „etwas“ ist, das nur noch nicht erkannt wurde, hält die Suche am Laufen, ohne je ihren Gegenstand einzulösen. Dieses Denken erschöpft sich in sich selbst – im besten Fall ein Kreis, im schlechteren Fall ein Labyrinth.
Hier wird eine Parallele zur Kritik poststrukturalistischer Denker wie Jacques Derrida deutlich, der in der Metaphysik des Abendlands eine Fixierung auf Gegenstände, Präsenz und Zentren kritisiert, die das Denken strukturell einschränken (Derrida, Grammatologie, 1967).
4. Das „Etwas“ – oder: das Zentrum des Nichts
Vielleicht die tiefste Pointe des Vortrags liegt in der Beschreibung des „Etwas“, das sich nur durch das Herumgehen begreifen lasse – ohne dass je klar wird, ob es überhaupt existiert. Das ist eine subtile Kritik an jeder Form dogmatischer Ontologie.
Der Vortrag stellt also die Frage nach dem logischen Ort: „Letztendlich geht es doch [...] immer nur darum, den logischen Ort zu bestimmen, für den eine Aussage gilt.“
Dieser Ort ist entweder innerhalb des klassischen Weltbilds – in dem alles „etwas“ ist – oder außerhalb, in einem Raum, der sich der Bestimmbarkeit entzieht. Der Holzweg führt nicht zu diesem Ort – aber er macht uns unsere Position bewusster: Wir sind bereits positioniert, im Licht, im Denken, im Sagbaren. Und genau das versperrt uns vielleicht den Zugang zum radikal Unbekannten.
Fazit: Philosophie als Bewegung im Dickicht
Der Vortrag „Holzweg und Dickicht“ ist eine Meditation über die Grenzen des Denkens. Er zeigt, dass der Versuch, etwas zu erkennen, immer schon innerhalb einer Struktur stattfindet, die das Erkennen formt – und beschränkt. Wer aufbricht, um das Unbekannte zu entdecken, bringt unweigerlich seine Denkformen mit – und entdeckt daher nur sich selbst im Spiegel des Fremden.
Doch der Text ist keine Absage an das Denken. Vielmehr ist er ein Plädoyer für ein Denken jenseits des Fortschrittsglaubens – für ein Denken, das das Verirren, das Nichtwissen, das Fragen als eigenständige Formen von Erkenntnis ernst nimmt. Denn vielleicht ist der Holzweg gerade kein Irrweg – sondern die eigentliche Weise des Philosophierens.
Philosophische Referenzen:
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Martin Heidegger: Holzwege (1950)
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Platon: Politeia (Buch VII – Das Höhlengleichnis)
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Jacques Derrida: De la grammatologie (1967)
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Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft (1882)
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Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen (1953)