Die Fichte im Lichte

Was als leichter Wortwechsel beginnt, entpuppt sich als vielschichtige Reflexion über Sprache, Wahrnehmung und Umwelt. Hanks „Fichtengedicht“ ist mehr als ein Reimspaß: Es entlarvt den menschlichen Blick auf Natur, spielt mit der Macht der Sprache, thematisiert Überformung und Überforderung – und erinnert daran, dass selbst das dichteste Sprachspiel noch Platz für kritisches Denken lässt.

Hey, Hank, was geht?

 

Nichts zu berichten. Bin beim Dichten.

 

Beim Dichten? Worum geht’s?

 

Um Fichten.

 

Um Fichten? Da lässt sich doch nichts dichten.

 

Mitnichten.

 

Aha. Dann lass hören.

 

Die Fichten standen dicht.

Kein Licht.

Nur dunkel.

Keine Sicht.

Da! Schau in diese Richtung! Siehst du die Lichtung?

Oh, ja. Wenn sich die Fichten lichten, kann man die Lichtung sichten.

Und so war Sicht auf die Fichte im Lichte.

Da saßen wir zwischen den Fichten auf einer Fichtenlichtung und schauten in jede Richtung.

Schön ist die Fichte im Lichte.

Doch das Lichten der Fichten befürworte ich mitnichten.

Denn was schert die Fichte unsere Sicht im Lichte?

 

Aha. Ein Naturgedicht also. Sogar kritisch am Ende. Nicht schlecht, auch wenn ich mich gerade ein wenig benommen fühle, wegen der ganzen icht-Laute. Ich glaube, ich brauche etwas frische Luft.

 

Ja, du siehst plötzlich gar nicht gut aus. Soll ich dich begleiten? Wir könnten unterwegs noch ein wenig an meinem Gedicht feilen.

 

Nein, danke. Das geht schon. Ich würde dich nur stören.

 

Mitnichten. Du bist ein guter Zuhörer. Aber gut. Ich denke, ich brauch nicht mehr lange. Ich melde mich bei dir, wenn ich glaube, dass es fertig ist. Weißt du was? Ich sollte dir das Gedicht in der freien Natur vortragen. Auf einer Fichtenlichtung. Ich glaube, dass würde die Wirkung noch um ein Vielfaches verstärken. Was hältst du davon?

 

Du, ich fühl mich gerade nicht so gut. Könnten wir das auf einen späteren Zeitpunkt verschieben?

 

Kein Problem. Wir sehen uns dann später. Und denk immer an die Fichte im Lichte.

 

Geht klar.

Analyse

 

Der vorliegende Dialog zwischen Hank und seinem Gesprächspartner beginnt scheinbar banal – mit einem saloppen „Was geht?“ – und entfaltet sich schnell zu einem sprachspielerischen Wortgewitter rund um die „Fichte im Lichte“. Dabei wird das Gespräch zunehmend dichterisch, metasprachlich und ökologisch kritisch. In seinem Zentrum steht ein Gedicht über Fichten, das nicht nur als poetisches Spiel, sondern auch als Reflexion über Sprache, Wahrnehmung und Natur gelesen werden kann. Der folgende Essay untersucht den Dialog unter drei Perspektiven: als Sprachspiel im Sinne Ludwig Wittgensteins, als ästhetische Naturbetrachtung und als subtiler Kommentar zur Umweltproblematik.

 

1. Sprachspiel und Lautmalerei: Der Reiz der Reime

Der Dialog lebt von seiner spielerischen Lust an Klang, Reim und Wiederholung. Besonders die Endsilbe -icht – etwa in „Fichten“, „dicht“, „Licht“, „Sicht“, „Richtung“, „Lichtung“ – wird obsessiv variiert. Das wirkt auf den Zuhörer gleichzeitig komisch, poetisch und, wie der Gesprächspartner selbst bemerkt, fast schon benommen machend.

Diese Klangexplosion ist mehr als ein Scherz: Sie zeigt, wie Sprache durch Rhythmus und Reim eine eigene, von Inhalt fast losgelöste Dynamik entfalten kann. In der Tradition der Sprachphilosophie erinnert dies an Wittgensteins Begriff des Sprachspiels (Philosophische Untersuchungen, 1953): Sprache wird hier nicht als bloßes Mittel zur Mitteilung von Tatsachen verwendet, sondern als aktives Spiel mit Regeln, das Identität, Beziehung und Weltverständnis prägt.

Hank zeigt durch seinen sprachverspielten Zugang, dass Bedeutung nicht nur logisch entsteht, sondern auch emotional und ästhetisch – durch Klangassoziationen, Rhythmus und performative Sprache.

 

2. Naturbeschreibung im Spiegel der Sprache

Inhaltlich beschreibt das Gedicht zunächst eine Situation im Wald: dicht stehende Fichten versperren die Sicht, erst eine Lichtung öffnet den Blick. Die Szene erinnert an klassische Naturlyrik – etwa an Joseph von Eichendorff oder Eduard Mörike –, doch Hank bricht das klassische Bild durch humorvolle und fast schon dadaistische Wortkaskaden auf.

Die wiederholte Wendung „die Fichte im Lichte“ evoziert ein beinahe kitschiges Naturidyll, das durch seine Überzeichnung zur ironischen Reflexion über Naturästhetik wird. Die Überfülle an Reimen führt zur Überreizung – eine Reaktion, die auch der Gesprächspartner mit seiner „benommenen“ Wahrnehmung ausdrückt. Der Wald wird nicht einfach poetisch verklärt, sondern durch Sprache überformt – was an postmoderne Lyrik erinnert, bei der oft die Form die Bedeutung übersteigt.

Die finale Wendung – „Doch das Lichten der Fichten befürworte ich mitnichten“ – schlägt schließlich den Bogen zur kritischen Reflexion: Was auf den ersten Blick wie eine Verspieltheit erscheint, wird zur Aussage über Waldrodung und den menschlichen Eingriff in die Natur.

 

3. Sprachwitz mit ökologischer Botschaft

Die Zeile „Denn was schert die Fichte unsere Sicht im Lichte?“ verkehrt den anthropozentrischen Blick: Nicht die Bäume stehen uns im Weg, sondern wir nehmen uns zu wichtig. Die Fichte wird nicht mehr nur ästhetisch, sondern ethisch betrachtet – als eigenständiges Wesen, das keinen Grund hat, sich unserem Bedürfnis nach Durchblick zu beugen.

Diese Haltung erinnert an Positionen der tiefen Ökologie (Arne Naess), die dem nichtmenschlichen Leben einen intrinsischen Wert zuschreibt, unabhängig von seinem Nutzen für den Menschen. Hank verwendet hier Sprache nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch zur subtilen Kritik an menschlicher Hybris, die Natur lediglich als Kulisse oder Ressource versteht.

 

4. Zwischen poetischer Lust und kommunikativer Erschöpfung

Bemerkenswert ist auch die Gesprächsdynamik: Während Hank sich in poetischer Euphorie verliert, reagiert der Gesprächspartner zunehmend erschöpft und distanziert. Seine Aussagen „Ich brauche etwas frische Luft“ und „Ich fühl mich gerade nicht so gut“ signalisieren ein Unwohlsein gegenüber sprachlicher Überforderung – oder sogar eine metaphorische Reaktion auf den poetischen Überfluss. Die „benommene“ Wirkung der Reimkaskade spiegelt ein Gefühl wider, das sich zwischen Sprachrausch und Bedeutungsverlust bewegt.

Damit thematisiert der Dialog nicht nur die Freude an Sprache, sondern auch ihre Grenzen. Der Wunsch, das Gedicht „in der freien Natur auf einer Fichtenlichtung“ vorzutragen, klingt fast rituell – als wolle Hank seine Sprache mit der Welt synchronisieren. Doch der Gesprächspartner lehnt ab. Kommunikation, so zeigt der Dialog, ist ein Balanceakt zwischen Mitteilung und Überforderung, zwischen Ästhetik und Verständnis.

 

Fazit: Sprachpoesie als kritisches Werkzeug

Was als leichter Wortwechsel beginnt, entpuppt sich als vielschichtige Reflexion über Sprache, Wahrnehmung und Umwelt. Hanks „Fichtengedicht“ ist mehr als ein Reimspaß: Es entlarvt den menschlichen Blick auf Natur, spielt mit der Macht der Sprache, thematisiert Überformung und Überforderung – und erinnert daran, dass selbst das dichteste Sprachspiel noch Platz für kritisches Denken lässt.

Der Dialog zeigt, dass Poesie nicht nur dekorativer Schmuck ist, sondern ein Mittel der philosophischen Erkenntnis. Und manchmal ist es eben das Dichten über Fichten, das uns am klarsten den Wald vor lauter Bäumen sehen lässt.