Im Verlauf

Der Dialog mit Hankman ist kein bloßes Gedankenspiel, sondern ein Spiegel gegenwärtiger intellektueller Ohnmacht und emotionaler Abstumpfung. Zwischen sprachlicher Genauigkeit, kulturkritischem Pessimismus und einer gewissen nihilistischen Klarheit entfaltet sich ein Weltbild, das keine Gewissheiten mehr zulässt – außer der, dass alles wie immer ist. Und gerade in dieser bitteren Einsicht liegt vielleicht die tiefste Form von Wahrheit.

Hey, Hankman! Das ist ja der absolute Wahnsinn!

 

Meinst du? Ich würde mit dem Absoluten nicht so leichtfertig umgehen. Ich denke, es lässt sich doch sehr leicht ein Standpunkt vorstellen, von dem aus sich die ganze Sache recht leicht relativieren lässt. Doch geht es vermutlich um deinen Grad der Betroffenheit. Und du willst sagen, dass sich dieser nur schwer überbieten lässt. Bist du dir da wirklich sicher? Wenn man vom Menschenmöglichen ausgeht, und dazu noch alles nimmt, was jemals passiert ist, was ist das dann eigentlich noch? Oder man muss die Sache einfach gänzlich anders betrachten. Das Problem ist, dass der Mensch den Menschen erstaunt. Wer die, schon rein logische, Beschränktheit dieses Ansatzes nicht sofort sieht, der will sie vermutlich nicht sehen, hat seine Strategien. Es gibt nun einmal diese Hierarchien, das hat Folgen, wie man sieht, nur gibt es keine kurzfristigen Lösungen, und alles andere wäre eine Neuanfang nach der Zerstörung. Immer werden Gräben gezogen, oder bereits vorhandene Gräben vertieft, und selbst das Zuschütten von vorhanden Gräben nützt nicht viel, auch wenn man das möglicherweise nicht wahrhaben mag, denn jeder weiß, dass da mal ein Graben war, eben weil die Gräben in den Köpfen sind, kulturalisiert, sozialisiert, weitergegeben von Generation zu Generation in den Handlungen der sozialen Gruppen. Es ist dieses permanente Abgrenzen, dieses ständige Hinweisen auf Unterschiede, mit dem schon frühzeitig eingepflanzt wird, was sich im Verlauf weiter vertieft und verfestigt. Also, ich sehe da wirklich keinen absoluten Wahnsinn, keine Überraschung, keine Enttäuschung, nichts Ungewöhnliches, es hat passieren können, es ist passiert, nichts Absolutes, nichts Relatives, keinen Wahn, keinen Sinn und keinen nicht-Sinn.

 

Mmh... Tja... Und sonst?

 

Alles wie immer.

Analyse

Im Dialog entfaltet sich ein bemerkenswert dichter philosophischer Diskurs über Relativität, kulturelle Prägung und die Grenzen menschlicher Erkenntnis. In seiner Struktur erinnert der Text an sokratische Dialoge, bei denen ein scheinbar einfacher Ausgangspunkt – hier die spontane Ausrufung von „Wahnsinn“ – in eine vielschichtige Reflexion über Welt und Mensch überführt wird. Die Figur Hankman übernimmt die Rolle des skeptischen Weisen, der jedes vorschnelle Urteil dekonstruiert.

 

I. Der Missbrauch des Absoluten

Schon im ersten Satz reagiert Hankman mit sprachkritischer Skepsis auf den Begriff des „absoluten Wahnsinns“. Sein Einwand erinnert an Ludwig Wittgensteins Philosophische Untersuchungen, wo die Bedeutung eines Wortes durch seinen Gebrauch im Sprachspiel bestimmt wird. Hankman hinterfragt genau diesen Gebrauch: Was bedeutet „absolut“, wenn es so beiläufig verwendet wird? Hier tritt bereits eine philosophische Grundhaltung zutage, die das Sprachliche nicht als neutrales Transportmittel von Bedeutung betrachtet, sondern als aktive Konstruktion von Welt.

In der Ablehnung des „Absoluten“ liegt auch eine Absage an jede Form von finaler Wahrheit – eine Haltung, die stark an Friedrich Nietzsches Kritik der „Metaphysik“ erinnert. Statt Wahrheit: Perspektive. Statt Wahnsinn: ein interpretierbares Ereignis im endlosen Strom kultureller Muster.

 

II. Der Relativismus des Erstaunens

Hankman führt die anfängliche Betroffenheit seines Gegenübers auf einen subjektiven Affekt zurück – den Wunsch, das Erlebte als einzigartig, erschütternd oder erstaunlich zu markieren. Doch diese Haltung erweist sich, bei näherer Betrachtung, als Illusion. Der Mensch erstaunt über den Menschen – „das Problem ist, dass der Mensch den Menschen erstaunt“ – formuliert eine anthropologische Zirkularität, die auf die erkenntnistheoretische Begrenztheit des Menschen hinweist: Der Beobachter ist zugleich das Beobachtete.

Diese Reflexion erinnert stark an die Tradition der kritischen Theorie, insbesondere an Adorno und Horkheimers Dialektik der Aufklärung, wo die Aufklärung selbst in Mythos umschlägt, weil sie ihre eigenen Voraussetzungen nicht reflektiert. Auch hier entlarvt Hankman den menschlichen Affekt – das Erstaunen über den Menschen – als strukturell naiv.

 

III. Kultur als Reproduktion von Gräben

Besonders eindrucksvoll ist die Passage über „Gräben“ – eine Metapher für soziale, kulturelle und psychologische Trennlinien. Was hier formuliert wird, ist eine soziologische Beobachtung, die stark an Pierre Bourdieus Theorie des „Habitus“ erinnert: Soziale Strukturen, auch wenn physisch nicht mehr sichtbar, prägen weiterhin das Denken und Handeln. Gräben „in den Köpfen“ sind Ausdruck tief verankerter kultureller Codes, die über Generationen hinweg tradiert werden.

Diese Kritik an der Unveränderlichkeit sozialer Differenz verweist auf einen resignativen Grundton: Selbst das Zuschütten der Gräben hilft nicht, weil die Erinnerung an sie bestehen bleibt. Der Versuch des gesellschaftlichen Ausgleichs bleibt oberflächlich, weil die kulturelle Codierung von Differenz stärker ist als politische oder moralische Appelle. Es ist ein ernüchterndes Bild, das auch bei Autoren wie Jean Améry oder Thomas Bernhard anklingt, wo historische Schuld und kulturelle Zementierung menschliche Beziehungen belasten und lähmen.

 

IV. Jenseits von Sinn und Nicht-Sinn

In seiner finalen Analyse lässt Hankman jegliche Differenzierung hinter sich. Es bleibt „nichts Absolutes, nichts Relatives, keinen Wahn, keinen Sinn und keinen nicht-Sinn.“ Diese Aussage stellt eine fast schon mystische Resignation dar – vergleichbar mit der absurden Philosophie Albert Camus', etwa in Der Mythos des Sisyphos. Dort wird der Mensch mit einer Welt konfrontiert, die keinen höheren Sinn bietet – und dennoch lebt er weiter. Hankman ist ähnlich radikal: Das Ereignis ist geschehen, es hätte geschehen können, es ist weder überraschend noch bedeutungsvoll.

 

V. Die Rückkehr ins Alltägliche

Der abschließende Satz – „Mmh... Tja... Und sonst?“ – und die lakonische Antwort „Alles wie immer“ bringen die existenzielle Tiefe des vorangegangenen Monologs in eine überraschend banale Form. Diese ironische Brechung erinnert an das absurde Theater Samuel Becketts: Die große Frage nach Sinn und Wahrheit mündet nicht in eine Erkenntnis, sondern in einem schulterzuckenden Weitermachen.

 

Fazit: Die Philosophie der sprachkritischen Nüchternheit

Der Dialog mit Hankman ist kein bloßes Gedankenspiel, sondern ein Spiegel gegenwärtiger intellektueller Ohnmacht und emotionaler Abstumpfung. Zwischen sprachlicher Genauigkeit, kulturkritischem Pessimismus und einer gewissen nihilistischen Klarheit entfaltet sich ein Weltbild, das keine Gewissheiten mehr zulässt – außer der, dass alles wie immer ist. Und gerade in dieser bitteren Einsicht liegt vielleicht die tiefste Form von Wahrheit.

Trenches

The dialogue with Hankman serves as a modern philosophical parable, critiquing the facile use of superlatives and pointing instead to the deep structural and cultural forces that underlie human behavior. It rejects both naïve astonishment and empty cynicism, offering instead a complex, layered understanding of human action as historically situated and psychologically embedded. If there is madness, Hankman suggests, it lies not in the extraordinary, but in the unexamined repetition of the ordinary.

Hey, Hankman! That’s just absolute madness!

 

You think so? I wouldn’t treat the “absolute” so lightly. I think it’s quite easy to imagine a standpoint from which the whole thing becomes pretty easy to relativize. But I suppose it’s about your degree of personal involvement. And what you mean is probably that it’s hard to top that level. Are you really sure about that? If you take what is humanly possible, and on top of that everything that has ever happened—what is it, really? Or maybe the whole matter has to be looked at completely differently. The problem is that humans are astonished by humans. Anyone who doesn’t immediately see the logical limitations of that approach probably doesn’t want to see them and has their strategies. Hierarchies exist, and they have consequences, as we can see—but there are no short-term solutions. Anything else would be a new beginning after destruction. Trenches are always being dug—or existing ones deepened—and even filling in old trenches doesn’t help much, even if one doesn’t want to admit that, because everyone knows there was once a trench there. That’s because the trenches are in people’s heads—culturally embedded, socialized, passed down from generation to generation through the actions of social groups. It’s this constant drawing of boundaries, this continual pointing out of differences, that plants the seed early on, which then takes deeper root and solidifies over time. So, I really don’t see any absolute madness, no surprise, no disappointment, nothing unusual. It could happen, it did happen. Nothing absolute, nothing relative, no madness, no meaning, and no non-meaning either.

 

Mmh... Yeah... And otherwise?

 

Same as always.

Analysis

The dialogue between the unnamed speaker and "Hankman" begins with a seemingly harmless exclamation: "That’s just absolute madness!" What follows, however, is a cascade of philosophical reflection in which Hankman interrogates the nature of absolutes, the limits of human understanding, and the persistent cultural inheritance of division. This exchange offers more than witty banter; it is a compact meditation on epistemology, socialization, and the impossibility of true novelty. It invites analysis not only through the lens of everyday language but also through the philosophical frameworks of thinkers such as Nietzsche, Foucault, and Adorno.

 

The Skepticism of Absolutes

Hankman's first reaction—“I wouldn’t treat the ‘absolute’ so lightly”—immediately resists the casual hyperbole of the initial exclamation. In doing so, he positions himself as a critic of unexamined language, aligning with Ludwig Wittgenstein’s view in the Philosophical Investigations that language games often obscure more than they reveal. The “absolute” here is a linguistic placeholder for extreme subjectivity, a term deployed emotionally but void of concrete criteria. Hankman urges a distancing from this kind of emotional overstatement, gesturing toward a more relativist epistemology, where all claims—even those concerning madness—must be seen in light of cultural context and historical precedent.

His response questions not just the event labeled “madness,” but the capacity of humans to evaluate themselves meaningfully: “The problem is that humans are astonished by humans.” This recalls Nietzsche’s critique in On the Genealogy of Morals, where he argues that morality and judgment are deeply embedded in historical and social power structures. For Nietzsche, the “astonishment” with human behavior is itself a symptom of forgetting the genealogy—the slow, sedimented development—of norms. Hankman’s assertion that “anyone who doesn’t see the logical limitations… probably doesn’t want to see them” implies a willful ignorance, a kind of self-imposed epistemic blindness.

 

The Politics of Division

The most socially resonant section of Hankman’s monologue deals with “trenches”—metaphors for social and psychological divisions. These trenches are not only physical or political; they are “in the heads”—ingrained through cultural codes, institutions, and repeated gestures of differentiation. This image recalls Pierre Bourdieu’s notion of habitus, the deeply embedded socialized tendencies that shape perception, action, and reaction. Similarly, it echoes Michel Foucault’s work in Discipline and Punish, where systems of control are internalized and made invisible, their history obscured by normalization.

Hankman suggests that even when divisions are seemingly healed—“even filling in old trenches doesn’t help much”—the memory and the cultural meaning of those divisions remain. The trench becomes a historical scar, a marker of where violence or exclusion once occurred. This connects to Theodor Adorno’s notion in Minima Moralia that culture itself becomes complicit in reproducing the very inequalities it seeks to overcome. The trench, then, is both spatial and symbolic—a manifestation of how social structures persist beyond their apparent dissolution.

 

Toward an Existential Resignation

By the end of the dialogue, Hankman reaches a kind of existential shrug: “Nothing absolute, nothing relative, no madness, no meaning, and no non-meaning either.” This flat tone—antithetical to the initial exclamation—suggests a post-ideological, perhaps postmodern, resignation. Meaning is no longer accessible, not even its opposite. In this way, Hankman evokes Beckett’s Endgame, where characters continue to speak even when there is nothing left to say, and Samuel Beckett himself insists that "there’s nothing more to express, no way to express it, no desire to express it."

This resignation, however, is not passive nihilism. Rather, it exposes the human tendency to cling to moral or emotional absolutes in a world governed by structural inertia and inherited patterns of thought. The final exchange—“And otherwise?” “Same as always.”—reinforces this idea: the everyday continues, unchanged, untouched by the rhetorical outburst of “madness.”

 

Conclusion

The dialogue with Hankman serves as a modern philosophical parable, critiquing the facile use of superlatives and pointing instead to the deep structural and cultural forces that underlie human behavior. It rejects both naïve astonishment and empty cynicism, offering instead a complex, layered understanding of human action as historically situated and psychologically embedded. If there is madness, Hankman suggests, it lies not in the extraordinary, but in the unexamined repetition of the ordinary. In this sense, the dialogue becomes a meditation on modern disillusionment, echoing a long tradition from Montaigne to Camus—a reminder that the trenches we carry within are far more persistent than any event we might deem “absolute madness.”