Der vorliegende Dialog ist ein ebenso leichtfüßiges wie vielschichtiges Spiel über Sprache, Identität und die Bedingungen sinnhaften Sprechens. Zwei Stimmen führen ein meta‑reflexives Gespräch darüber, wie man „Wörter“ formt, was gute Aussprache ausmacht und weshalb Begriffe wie „Vokalität“ (gegenüber einer hypothetischen „Konsonatität“) plötzlich plausibel wirken.
Du hast verstanden?
Klar. Völlig. Jedes einzelne Wort. Wirklich faszinierend.
Was meinst du?
Wörter. Ganz ausgezeichnet deine Wortwahl. Übst du häufig?
Sicher. Ganz ohne Übung geht es nicht.
Das merkt man. So etwas kommt nicht von allein. Hast du einen Sprachtrainer?
Hatte ich anfangs. Habe aber gemerkt, dass das nicht das Richtige für mich war. Der hatte die Wörter auch teilweise so merkwürdig betont, und ich glaube seine Grammatik war auch nicht ganz korrekt.
Interessant. Und nicht zu erwarten.
Ganz und gar nicht. Ich hätte vielleicht stutzig werden müssen bei seinem Namen. War wohl nicht von hier.
Kommt vor, dass man nicht von hier ist. Ich glaube sogar, dass die meisten eher von dort kommen und weniger von hier.
Den Verdacht hatte ich auch schon.
Dann ist es natürlich nicht so einfach, einen Sprachtrainer zu finden.
Richtig.
Umso erstaunlicher, dass deine Wörter einen so ausgezeichneten Klang haben.
Das ist nicht so schwer. Man muss sich einfach mehr auf die Vokale konzentrieren. War mir vorher gar nicht so bewusst.
Tatsächlich? Ich hatte immer gedacht, die Konsonanten wären der schwierige Part.
Das glauben die meisten. Keine Ahnung, woher das kommt. Wahrscheinlich so eine kulturelle Geschichte.
Könntest du recht haben. Man wächst so auf und denkt nicht weiter darüber nach. Die Vokale also?
Richtig. Oder auch die Vokalität, wie ich es gern nenne.
Vokalität. Sehr einprägsam. Gibt es so einen Begriff auch für die Konsonanten? Etwas Konsonatität?
Ist mir nicht bekannt. Das scheint mir schon ein guter Indikator dafür zu sein, dass der Vokalität möglicherweise eine höhere Bedeutung zukommt.
Ist doch immer wieder schön, wenn die Dinge einen Sinn ergeben.
In der Tat. Das ist die eigentliche Aufgabe. Einen Sinn hinter den Erscheinungen zu finden.
Gut gesagt. Wobei noch hinzuzufügen wäre, dass mit Sinn nicht nur eine nachträgliche Begründung gemeint sein kann.
Richtig. Meine volle Zustimmung. Begründung hat so was Flaches und Nichtssagendes. Fast etwas Langweiliges. Idealerweise gehen Vokalität und Sinnhaftigkeit Hand in Hand.
Mein Gott, du übertriffst dich ja wieder selbst. Ich bin beeindruckt.
War nicht meine Absicht. Ist einfach so passiert.
Das sind immer die Besten.
Habe ich auch schon festgestellt. Und weißt du, was ich noch festgestellt habe?
Noch nicht.
Ich habe festgestellt, dass ich die ganze Zeit mit mir selbst spreche.
Den Verdacht hatte ich auch schon. Immerhin hast du es gemerkt. Ist doch aber nichts Schlechtes, oder?
Ich denke nicht.
Ich auch nicht. Wie hast du es gemerkt?
Habe mich umgeschaut, und da war keiner.
Ein sicheres Indiz.
Ich würde das Gespräch trotzdem gern beenden.
Einverstanden. Ist genug für heute. Morgen um dieselbe Zeit?
Warum nicht.
Analyse
Der vorliegende Dialog ist ein ebenso leichtfüßiges wie vielschichtiges Spiel über Sprache, Identität und die Bedingungen sinnhaften Sprechens. Zwei Stimmen – die sich am Ende als ein und dieselbe Instanz entpuppen – führen ein meta‑reflexives Gespräch darüber, wie man „Wörter“ formt, was gute Aussprache ausmacht und weshalb Begriffe wie „Vokalität“ (gegenüber einer hypothetischen „Konsonatität“) plötzlich plausibel wirken.
1. Sprachtraining und das Fremde
Gleich zu Beginn wird der Topos des Sprachtrainings eingeführt. Die Erzählerfigur berichtet von einem Coach, dessen Aussprache „merkwürdig betont“ war und dessen Grammatik zweifelhaft erschien. Damit wird eine bekannte Spannung skizziert: Wenn Sprache gelehrt wird, gerät Authentizität in Gefahr. Der Schüler erkennt das „Fremde“ (»War wohl nicht von hier«) und bricht das Training ab.
Verweisspur: Bereits Wilhelm von Humboldt diagnostizierte, dass echte Sprachbeherrschung nicht durch reine Korrektur, sondern durch innere Formung geschieht (vgl. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus, 1836). Das Misstrauen gegenüber einer äußerlichen Norm deckt sich mit Humboldts Idee, Sprache müsse „von innen heraus“ wachsen.
2. Vokale vs. Konsonanten – eine Umwertung
Der Dialog lenkt den Blick sodann auf einen scheinbar nebensächlichen Lautunterschied: Vokale seien die eigentliche Herausforderung, nicht Konsonanten. Dieser Perspektivwechsel ist ironisch – der Alltagsmythos sagt nämlich meist das Gegenteil („R“ rollen, „S“ zischen). Die Gesprächspartner erheben diese Beobachtung zur fast philosophischen Kategorie:
„Oder auch die Vokalität, wie ich es gern nenne.“
Mit der Erfindung des Nominals „Vokalität“ wird Sprachreflexion selbst performativ – der Sprechende zeigt, dass Sprache nicht nur Mittel, sondern Gegenstand sein kann. Der Hinweis, dass es keine vergleichbare „Konsonatität“ gebe, deutet an, wie Wortschöpfungen Macht über unsere Wahrnehmung erhalten. Hier klingt Wittgensteins Diktum mit, dass „die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch in der Sprache ist“ (Philosophische Untersuchungen, §43).
3. Sinn, Begründung und Tiefe
Im nächsten Schritt wird die Suche nach Sinn thematisiert. „Begründung“ erscheint als „flach“ und „langweilig“, während „Sinnhaftigkeit“ und „Vokalität“ zusammengedacht werden sollen. Die Abwertung der bloßen Begründung erinnert an Hans-Georg Gadamers Vorwurf einer „Vorurteilsvergessenheit“ der Neuzeit: Zu viel Analyse kann dem Verstehen die Tiefe rauben (Wahrheit und Methode, 1960). Im Dialog wird dagegen eine lustvoll‑spielerische Sinnproduktion favorisiert – nicht Ableitung, sondern Resonanz.
4. Die Pointe: Gespräch mit sich selbst
Die überraschende Wendung, dass beide Stimmen identisch sind, stellt den gesamten Diskurs unter ein neues Licht. Das zuvor geführte Gespräch ist Selbstgespräch – traditionell eine Form, der man wahlweise Wahnsinn oder Weisheit unterstellt. In der antiken Stoà galt Selbstgespräch als Übung geistiger Autonomie (vgl. Marc Aurel, Selbstbetrachtungen).
Im Dialog wird das Selbstgespräch aber nicht pathologisiert. Es ist ein Werkzeug, die eigene Sprachpraxis zu verfeinern: „Man muss sich einfach mehr auf die Vokale konzentrieren.“ Hier eskaliert der Text in beinahe komischer Selbstreferenzialität – die Figur lobt sich, bestaunt sich, widerspricht sich und gelangt zur Einsicht, dass niemand sonst anwesend ist. Dadurch wird ein zentrales Problem aufgerufen: Braucht Sinn Kommunikation, oder genügt Reflexion?
5. Metapoetische Ironie
Der Austausch parodiert typische Coaching‑Dialoge („Hast du einen Sprachtrainer?“ – „War nicht das Richtige für mich.“) und zugleich akademische Diskussionen über Terminologie. Das Absurd‑Komische entsteht, weil semantische Leerstellen (Vokalität) und existentielle Fragen (Sinn) mit derselben Routine verhandelt werden. Die Ironie kulminiert in der Verabredung: „Morgen um dieselbe Zeit?“ – ein Running‑Gag, der Selbstgespräch zum Termin macht.
Schluss: Vokalität als Metapher des Eigenklangs
Die Analyse zeigt, dass der Text mehrere Ebenen verschränkt:
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Phonetische Ebene: Fokus auf Klang (Vokale) statt Korrektheit (Konsonanten).
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Epistemische Ebene: Kritik an externer Autorität, Aufwertung der Selbstbildung.
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Ontologische Ebene: Identität des sprechenden Subjekts wird hinterfragt.
„Vokalität“ lässt sich daher als Metapher für den Eigenklang des Denkens begreifen – jene intime Frequenz, in der Gedanken erst Stimme bekommen. Indem der Dialog dies spielerisch inszeniert, ermutigt er, auf die feinen Nuancen der eigenen Sprache zu achten und Sinn nicht nur zu suchen, sondern zu erzeugen.
So betrachtet, ist das Stück weniger eine Kuriosität über Sprachtraining als ein literarisches Experiment über Selbst‑ und Sprachbewusstsein – ganz im Sinne der hermeneutischen Tradition, die im Sprechen stets schon ein Verstehen des Selbst sieht.
Vowelity
The dialogue is an internal conversation that dramatizes self‑coaching: one “voice” praises and probes while the other explains how deliberate practice—especially attention to “vowelity”—shapes eloquent speech. By staging this banter, the speaker externalizes metacognition, illustrating how dialogical inner speech supports language learning and personal insight.
Have you understood?
Sure. Completely. Every single word. Truly fascinating.
What do you mean?
Words. Your choice of words is excellent. Do you practise a lot?
Certainly. You can’t manage without practice.
That shows. Something like that doesn’t come by itself. Do you have a language coach?
I did at first, but I realised it wasn’t right for me. He stressed the words in such odd ways, and I think his grammar wasn’t entirely correct either.
Interesting. And unexpected.
Not at all. I should’ve been suspicious because of his name. He probably wasn’t from around here.
It happens that one isn’t from around here. I actually think most people come from there rather than here.
I’d suspected as much.
That makes it harder to find a language coach, of course.
Exactly.
All the more astonishing that your words sound so superb.
It’s not that hard. You just have to focus more on the vowels. I hadn’t really been aware of that before.
Really? I’d always thought the consonants were the tricky part.
Most people believe that. No idea why. Probably some cultural thing.
You may be right. You grow up with it and don’t think about it. So—the vowels?
Right. Or the vowelity, as I like to call it.
Vowelity—very catchy. Is there a term like that for consonants? Something like consonantity?
Not that I know of. That already seems a good indicator that vowelity might be of greater importance.
It’s always nice when things make sense.
Indeed. That’s the real task: to find meaning behind appearances.
Well put—though one should add that “meaning” can’t just be a retroactive justification.
True. I fully agree. Justification feels flat and empty—almost boring. Ideally, vowelity and meaningfulness go hand in hand.
My goodness, you’re surpassing yourself again. I’m impressed.
Wasn’t my intention. It just happened.
Those are always the best moments.
I’ve noticed that too. And you know what else I’ve noticed?
Not yet.
I’ve noticed that I’ve been talking to myself the whole time.
I’d suspected that as well. At least you realised it. But that’s nothing bad, is it?
I don’t think so.
Neither do I. How did you notice?
I looked around and no one was there.
A sure sign.
Still, I’d like to end the conversation.
Agreed. That’s enough for today. Same time tomorrow?
Why not.
Analysis
The brief dialogue above is, on its face, an amiable chat about pronunciation. Yet the final exchange (“I’ve noticed that I’ve been talking to myself the whole time”) reveals that the entire conversation has taken place inside a single mind. Reading it as dramatised inner speech allows three interconnected themes to surface:
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The dialogical self and metacognition
Psychologists such as Hubert Hermans describe the dialogical self as a mind populated by “I‑positions” who converse with—and sometimes critique—one another. These internal voices borrow the structures of everyday conversation to perform self‑regulatory work: planning, error‑checking, even encouragement. Fernyhough and colleagues, extending Vygotsky, argue that such inner dialogues retain a fundamentally social form because they originate in early, overt speech with caregivers.
The present text stages exactly that: one position praises “your choice of words,” while the other demurs, explains, and ultimately recognises the soliloquy. By letting the voices trade compliments and questions, the narrator externalises implicit knowledge—an example of metacognitive monitoring in action. -
Practice, coaching, and the myth of effortless fluency
The first half of the dialogue circles around diligent practice: “You can’t manage without practice … Something like that doesn’t come by itself.” Contemporary second‑language research concurs, showing that phonological mastery is not merely talent-driven but the product of focused, feedback‑rich rehearsal. Studies of L2 English vowels, for instance, demonstrate large performance gains after targeted perceptual training, while also cautioning that establishing a universal “difficulty hierarchy” for segments is elusive.
The abandoned language coach embodies a common learner dilemma: expert guidance is valuable, yet mismatched instruction (“He stressed the words in such odd ways”) may hinder rather than help. The inner conversation becomes a substitute coaching session, echoing findings that guided self‑talk can scaffold learning when external input is scarce. -
‘Vowelity’ versus consonant focus: a playful but serious phonological debate
Mid‑dialogue, the speaker introduces vowelity—a neologism that reframes vowels as the pivotal carriers of “meaningfulness.” While tongue‑in‑cheek, the move alludes to a genuine debate in phonological processing. Experimental work with infants and adults suggests that consonants and vowels contribute differently to lexical access and structural generalisation, with some evidence that consonants dominate word‑learning tasks whereas vowels weigh more in prosodic cues.
Declaring that “most people believe consonants are the tricky part” points to cultural stereotypes about articulation: consonants are overtly “crisp,” vowels “invisible.” The dialogue’s inversion—centering vowels—serves as a miniature critique of such biases and an invitation to attend to subtler acoustic properties.
From monologue to meaning
The closing lines—“Agreed. That’s enough for today. Same time tomorrow?”—complete the loop: the speaker schedules a future self‑session, normalising inner dialogue as a routine tool for growth. Seen through Dialogical Self Theory, inner speech is not pathological solitude but an everyday practice of self‑coaching, linguistic experimentation, and identity work. By personifying doubts (“Wasn’t my intention. It just happened.”) and insights (“You just have to focus more on the vowels”), the mind externalises tacit strategies that can later be enacted in real interaction.
Thus, the text is more than comic banter; it dramatizes how practice, phonological attention, and reflective dialogue converge to create linguistic competence—long before another human ever hears the words.