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Unterscheidung und Schied des Unterschieds

 

 

Der Vollzug einer Unterscheidung teilt den vorausgesetzten Raum bzw. Bereich der Unterscheidung in zwei und nur zwei Teile bzw. Seiten. Da ein Lebewesen ohne Unterscheidung nicht existent ist, ist ihm der vorausgesetzte basale Raum als solcher, d.h. ohne jegliche Unterscheidung verborgen. Erst durch den Akt der Unterscheidung wird ihm der Raum seiner Unterscheidungen zugänglich; nämlich als unterschiedener Raum. In ihm hat sich eine Unterscheidung vollzogen und an ihr zeigt sich die Basis der Unterscheidung, ihr Raum. Der Akt der Unterscheidung, bzw. die Unterscheidung als Aktivität zu unterscheiden, erzeugt also den Raum ihrer Unterscheidung. Eine Unterscheidung teilt den Raum ihrer Unterscheidung in zwei Seiten, sie macht einen Unterschied, dieser verlangt für sein Funktionieren mindestens zwei Teile. Die zwei Teile, die der Unterschied in seinem durch die Unterscheidung konstituierten Raum unterscheidet, sind voneinander durch eine Unterscheidung geschieden, sie sind voneinander verschieden. Die Unterscheidung generiert Verschiedenheit. Da hier nur eine einzige basale Unterscheidung zugelassen wird, gilt auch nur eine einzige Bestimmung von Verschiedenheit. Nämlich die, die durch die Unterscheidung in ihrem Raum vollzogen wird. Die Unterscheidung erzeugt durch das Unterscheiden nur ein Unterschiedenes und dieses ist in einer und nur einer Weise von Nicht-unterschiedenem verschieden. Unterscheidung erzeugt durch den Schied des Unterschieds eine Zweiheit von Unterschiedenem und Nicht-Unterschiedenem.

 

Die Unterscheidung erzeugt den Unterschied von Unterschiedenem und Nicht-Unterschiedenem. Der Vollzug der Unterscheidung, die Unterscheidung selbst, verdeckt sich im Akt des Unterscheidens, in der Scheidung von Unterschiedenem und Nicht-Unterschiedenem. Die Unterscheidung teilt auf in das zu Unterscheidende und das dadurch Unterschiedene. Der Ort der Unterscheidung von Unterscheidendem und Unterschiedenem tritt nicht in das Spiel des Unterscheidens. Die Wahrheit des CI ist somit unabhängig vom Ort seiner Realisation und invariant bezüglich seiner Notationsmittel. Damit erfüllt er die Minimalbedingung semiotischer Rationalität wie sie von logischen Formalismen und proprammiertechnischen Schreibsystemen gefordert wird: "truth is invariant under change of notation." (Goguen)

 

Nun ist aber ein Lebewesen für sich nicht anders bestimmbar als durch seine Unterscheidungen. Vor seinem Akt der Unterscheidung existiert es nicht. Damit gibt es aber auch kein vorgängiges Subjekt des Unterscheidens. Im Akt des Unterscheidens, also in der Unterscheidung, erzeugt sich der Aktor des Unterscheidens. Der Unterscheidung geht kein Subjekt und auch kein Objekt, kein Raum und kein Zeichen, vor. Die Unterscheidung besitzt keine Vorgängigkeit, ihr liegt nichts zu Grunde. Sie ist ohne Grund. So unterschiedenes Unterschiedenes und Nicht-Unterschiedenes ist untereinander von gleicher Unterschiedenheit. Diese der Unterschiedenheit ist bzgl. ihrer Teile symmetrisch. Eine solche symmetrische gleich-verschiedene Verschiedenheit nennen wir im Anschluß an Luhmann eine Zwei-Seiten-Form (in einem Raum der Unterscheidung).

 

Eine solche Zweiteilung eines Raumes läßt sich als notwendiger kognitiver Vollzug eines Lebewesens verstehen. Dieser erzeugt jedoch keine Ordnung im Raum und gibt keine Präferenz für einen volitiven Vollzug an. Ihm fehlt die Entscheidung für eine Unterscheidung. Dies wird erst dadurch möglich, daß eine der beiden Seiten der Form ausgezeichnet wird. Die ausgezeichnete Seite der Zwei-Seiten-Form wird der anderen Seite der Form auf Grund einer Entscheidung vorgezogen. Als solche vorgezogene Seite wird sie mit einer Marke designiert. Als vorgezogene markiert sie einen entschiedenen Unterschied zur nicht-designierten Seite der Form. Die Markierung erzeugt durch die Marke eine Asymmetrie in der Zwei-Seiten-Form. Die durch eine Marke designierte bzw. markierte Seite dominiert die nicht-markierte Seite der Form. Damit wird eine Ordnung in die Unentschiedenheit der Unterscheidung eingeführt.

 

(Rudolf Kaehr, „ZUR LOGIK DER ́SECOND ORDER CYBERNETICS ́“, 1991)