Die Frage, ob man solche Unterhaltungen „führen soll“, beantwortet der Text performativ: Indem er Täuschung, Handlung und Gewöhnung verhandelt, zeigt er, dass Gespräch selbst ein Akt kreativer Welterschließung ist. Unterhaltungen sind keine Dinge, sondern Prozesse; sie sind unterhaltsam, weil sie das Offensichtliche destabilisieren und zugleich neue Gewohnheiten stiften.
Soll man diese Unterhaltungen führen?
Definitiv! Es gibt kaum etwas Unterhaltsameres.
Wer unterhält eigentlich wen?
Das wechselt. Mal fühlt man sich unterhalten, mal unterhaltend.
Warum macht man das?
Vermutlich, weil es leichter ist, es zu tun, als es nicht zu tun.
Tun ist leichter als nicht-Tun?
Verblüffend, nicht wahr?
Wie kommt das?
Das liegt wohl in der Natur der Beteiligten.
Ich bin begeistert.
Begeisterte Unterhaltungen sind natürlich die besten.
Außer beim Geist, der stets verneint.
Das ist aber nicht so offensichtlich.
Traue niemals dem Offensichtlichen! Es ist eine Täuschung!
Der Täuscher täuschte denjenigen. Und dieser ward der Getäuschte.
Täuschen und täuschen lassen.
Was ist es, das Offensichtliche?
Dasjenige, woran man sich gewöhnt hat.
Daran könnte ich mich gewöhnen.
Für gewöhnlich ist das so. Das ist nichts Ungewöhnliches.
An das Ungewöhnliche muss man sich erst gewöhnen. Dann wird es zum Gewöhnlichen. Da sollte man sich nicht täuschen lassen.
Ich glaube, darüber sollten wir uns mal unterhalten. Das könnte sehr unterhaltsam werden.
Ja, das Werden. Darüber wurde schon viel gesagt.
Was ist Sagen?
Das Ergebnis von Etwas. Nur ist dieses Etwas kein Etwas.
Habe ich mir fast gedacht. Früher oder später musste es zu einem Widerspruch kommen.
Du siehst da einen Widerspruch?
Nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Doch stehen diese Voraussetzungen im Widerspruch zu einer begeisterten Unterhaltung.
Dann ist eine begeisterte Unterhaltung kein Etwas?
Ganz sicher nicht. Ein Etwas ist beispielsweise der hier zu lesende Text. Nicht zur verwechseln mit der Unterhaltung, die diesen Text entstehen ließ. So leicht lassen sich Widersprüche erzeugen.
Das finde ich gut. Und unterhaltsam.
Immer wieder gern.
Analyse
Der Dialog präsentiert sich als selbstreflexive Metakommunikation: Zwei Stimmen diskutieren, ob und warum man Unterhaltungen führen soll, nur um dabei fortwährend Begriffe wie Tun, Täuschung und Gewöhnung gegeneinander auszuspielen. Drei argumentative Linien lassen sich herausarbeiten:
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Gespräch als Handlung, nicht als Objekt
Schon der Duktus „Tun ist leichter als Nicht‑Tun“ erinnert an Hannah Arendts Unterscheidung von vita activa und vita contemplativa: Sprechen ist dort nicht bloß Informationsaustausch, sondern eine Form des Handelns, durch die Menschen öffentlich erscheinen. Eine Unterhaltung ist somit kein Etwas, kein statischer Gegenstand, sondern ein Ereignis, das sich nur im Vollzug realisiert. Diese Performativität beschreibt bereits J. L. Austin, wenn er „illokutionäre Akte“ als Wirkhandeln der Sprache begreift. -
Täuschung und das Problem des Offensichtlichen
Der mehrfach verhandelte Imperativ „Traue niemals dem Offensichtlichen!“ evoziert Nietzscheanische Skepsis gegenüber vermeintlichen Selbstverständlichkeiten. Kognitionspsychologen wie Daniel Kahneman sprechen hier von cognitive ease: Häufig Gehörtes erscheint wahr, weil es vertraut ist. Der Dialog macht diese Heuristik sichtbar, indem er das Gewöhnliche (das „Offensichtliche“) als potenzielle Täuschung entlarvt und damit zur kritischen Distanz anhält. -
Dialektik des Gewöhnlichen und Ungewöhnlichen
Das Wechselspiel von Gewöhnung und Überraschung erinnert an Hegels Dialektik: Ein Zustand (Gewöhnliches) wird durch sein Gegenteil (Ungewöhnliches) negiert, ehe eine neue Synthese entsteht, die wiederum zur Gewohnheit werden kann. Genau diese Bewegung spiegelt das Gespräch – es erhebt das Unterhaltsame gerade daraus, dass es Gewohntes irritiert und so immer wieder neue Bedeutungsräume öffnet.
Fazit
Die Frage, ob man solche Unterhaltungen „führen soll“, beantwortet der Text performativ: Indem er Täuschung, Handlung und Gewöhnung verhandelt, zeigt er, dass Gespräch selbst ein Akt kreativer
Welterschließung ist. Unterhaltungen sind keine Dinge, sondern Prozesse; sie sind unterhaltsam, weil sie das Offensichtliche destabilisieren und zugleich neue Gewohnheiten stiften. Wer also
spricht, tut mehr, als Worte zu tauschen – er handelt in der Welt, und genau darin liegt der Wert dieser scheinbar spielerischen Dialoge.