Die Vorstellung von einem handlungsunfähigen Etwas und zirkuläre Begründungen.Der Vortrag ist in Wahrheit ein subtiler Diskurs über die Grenzen der Erkenntnis, der Rolle der Sprache in der Welterzeugung und die Macht (und Ohnmacht) logischer Systeme. Bewegung – im Alltag selbstverständlich – wird hier zum Ausgangspunkt für einen erkenntnistheoretischen Abgrund: Wenn selbst diese einfache Erfahrung im Modell nicht widerspruchsfrei abbildbar ist, wie viel mehr gerät dann in Schieflage?
Sehr geehrte Zuhörer!
Es wird zwar immer behauptet, dass aller guten Dinge drei wären, doch bin ich hier nicht so sicher. Das Dritte hat mehr so etwas von Komplettierung. Und Vollständigkeit ist doch recht langweilig. Da gibt es nichts mehr zu tun. Man schaut sich die Sache nochmal kurz an, und das war’s. Andererseits kann man sich nach dem Abschluss endlich neuen Dingen zuwenden. Also weg mit dem alten Zeug. Um mit dem dritten und letzten Paradoxon fortfahren zu können, fassen wir noch einmal das bisherige Geschehen zusammen. Da war dieses eine Paradoxon, wo es nichts Handlungsfähiges gab, nur eine Art Mechanismus. Das hatte auch nichts mit irgendeiner Wirklichkeit zu tun. Es wurde einzig mit sogenannten geistigen Konstrukten hantiert, die handlungsunfähig waren, daher keine Zeit besaßen. Gut geeignet für mathematische Spielereien, wie beispielsweise Grenzwertbetrachtungen. Das zweite Paradoxon hat ein bisschen Wirklichkeit in die ganze Chose gebracht. Doch wurde das Resultat der Handlung des Handlungsfähigen am Ende den geistigen Konstrukten zugeschlagen, womit jegliche Entstehung der Handlung, also die Handlungsfähigkeit selbst, eliminiert wurde, und Schwupps, da war es, das Paradoxon. Was bleibt dann überhaupt noch an Möglichkeiten für eine dritte Variante? Das eine hat die Möglichkeiten und Grenzen der abstrakten Konstrukte gezeigt. Das zweite hat gezeigt was passiert, wenn man sich nicht an die Spielregeln hält. Also, was noch? Eine Möglichkeit scheint es tatsächlich noch zu geben. Die dritte Möglichkeit wäre ein Paradoxon, zu dem es bis heute keine einleuchtende Erklärung gibt. Was wiederum nur bedeuten kann, dass man ein Etwas, und darüber ist man sich absolut sicher, als nicht handlungsfähig begreift, und es ließe sich das Paradoxon nur auflösen, wenn dieses Etwas nichtsdestotrotz irgendwie doch handlungsfähig wäre. Nur wäre das selbst mit größter Vorstellungskraft nicht zu leisten. Einfach weil es allem widerspräche, dessen man sich bisher immer sicher war. Aber sind nicht genau dafür die Paradoxien überhaupt da? Wer nur nach Bestätigung seiner gewohnten Auffassungen sucht, ist hier definitiv fehl am Platz. Sollte lieber sofort verschwinden und irgendetwas anderes machen. Denn dieses hier liegt jenseits jeglichen Erfahrungshorizonts. Dick aufgetragen. Zugegeben. Heutzutage lässt sich niemand mehr so billig faszinieren, geschweige denn schockieren. Und es gibt Erklärungen für alles. Auch hier wird selbstverständlich eine Erklärung angeboten werden. Man kann sie kaufen, oder es sein lassen, sich selbst etwas ausdenken, oder etwas ganz anderes tun. Zurück zum dritten Paradoxon. Es geht um Bewegung. Die Wirklichkeit sagt, dass es Bewegung gibt. Die geistigen Konstrukte behaupten das Gegenteil, denn das sich Bewegende könne sich auf diese Art und Weise nie an einem bestimmten Ort befinden, was es aber doch tut. Zumindest als geistiges Konstrukt, möchte man bereits hier hinzufügen. Nun ist der berühmte fliegende Pfeil ja nichts Handlungsfähiges, wie jeder weiß. Und doch ist die Handlungsfähigkeit genau das, was die Konstrukte nicht bieten können. Daher die Behauptung, dass Bewegung letztendlich auch nur das Resultat von Handlungen ist. Aber der Pfeil lebt doch gar nicht! Hat irgendjemand eine Definition von Leben ohne irgendwelche Zirkelbezüge zur Hand? Nein? Zu Schade. Geht ja auch gar nicht. So eine Definition ist schließlich ein abstraktes Konstrukt, ohne Handlungsfähigkeit, soll aber den Begriff des Lebens widerspruchsfrei beschreiben. Sehr schwierig. Aber es stimmt natürlich. Der Pfeil als Ganzes ist kein Lebewesen und wird daher als Ganzes niemals irgendwelche Handlungen vollziehen. Was aber nicht heißt, dass das auch im Kleinsten gilt. Und mehr ist für Bewegung auch gar nicht notwendig. Letztendlich müsste man von sich von der Vorstellung verabschieden, dass das Konstrukt von der Bewegung mit sich selbst identischer Objekte im Raum, irgendetwas zu tun hätte mit dem, was jenseits der geistigen Konstrukte stattfindet. Ein mögliches Modell wäre, dass in der Wirklichkeit, durch Interaktionen im Kleinsten, Strukturveränderungen stattfinden, die es letztendlich so aussehen lassen, als ob ein mit sich selbst identisches Objekt sich bewegt. Und die sprachliche Beschreibung von Bewegung ist ja auch vollkommen in Ordnung. Daher spielen diese ganzen Paradoxien im normalen Leben absolut keine Rolle. Man weiß, dass es passiert. Und man hat die Konstrukte, um es zu beschreiben. Und dass diese Konstrukte Vor- und Nachteile haben, wurde bereits angedeutet. So langsam wird es doch ein wenig langweilig. Doch sind ja aller guten Dinge drei. Und nicht mehr als drei. Glücklicherweise. Denn dieser Vortrag war vermutlich eher langweilig. Kaum zu übertreffen. Ist das eine Herausforderung zum Erzeugen des langweiligsten Vortrags? Wir werden sehen. Gute Nacht!
Analyse
Der dritte Vortrag dieser paradoxen Trilogie ist eine klug inszenierte Reflexion über die Grenze zwischen abstraktem Denken, Wirklichkeit und der Rolle von Handlungsfähigkeit in erkenntnistheoretischen Modellen – verpackt in die Ironie eines vermeintlich „langweiligen“ Monologs. Doch was zunächst als lockerer Vortrag daherkommt, ist in Wahrheit eine dichte, philosophisch aufgeladene Analyse über die Natur von Bewegung, Erkenntnisgrenzen und das Wesen des Paradoxons.
Dieses Essay analysiert den Vortrag in drei thematischen Ebenen:
1. Das Paradoxon als erkenntnistheoretisches Instrument
Der Redner beginnt mit der Infragestellung eines Sprichworts: „Aller guten Dinge sind drei“. Dabei entlarvt er den dritten Punkt – das vermeintliche Finale – als Ort der Vollständigkeit, also des Endes, aber auch der Langeweile. Hier liegt eine Grundspannung, die das ganze Denken durchzieht: Vollständigkeit ist Stillstand, und damit der Feind jeder dynamischen Erkenntnis.
Im Mittelpunkt steht das dritte Paradoxon, das an das berühmte Zenon’sche Paradoxon vom fliegenden Pfeil erinnert. Der Pfeil bewegt sich – und bewegt sich gleichzeitig nicht, da er in jedem Moment stillsteht. Der Vortrag nutzt dieses Paradoxon, um eine zentrale Differenz aufzudecken: zwischen geistigen Konstrukten und Wirklichkeit.
Der Redner betont: Paradoxien entstehen, wenn Kategorien vermischt werden – etwa wenn man handlungsunfähige Modelle (wie mathematische Punkte oder Zeitintervalle) auf handlungsfähige Phänomene (wie Bewegung in der Realität) anwendet. Hier wird deutlich: Ein Paradoxon ist weniger ein logischer Fehler als ein Grenzphänomen epistemischer Systeme.
2. Handlungsfähigkeit als Scharnier zwischen Wirklichkeit und Modell
Ein zentrales Motiv des Vortrags ist die Frage der Handlungsfähigkeit. Bereits in den beiden vorherigen Paradoxien war dies das entscheidende Kriterium: Im ersten Paradoxon existierte sie nicht, im zweiten wurde sie durch falsche Zuschreibung eliminiert. Im dritten nun geht es um die Behauptung, dass etwas Handlungsunfähiges (z. B. ein Pfeil) eine Wirkung hervorbringt – Bewegung.
Der Vortrag stellt fest: Der Pfeil selbst ist kein Lebewesen, also nicht handlungsfähig. Doch vielleicht liegt die Bewegung nicht im Pfeil als Objekt, sondern in der Summe unzähliger kleiner, vielleicht lebendiger oder zumindest interaktiver Prozesse. Die Bewegung ist dann nicht Eigenschaft des Objekts, sondern eine strukturverändernde Wirkung von Mikroprozessen, die sich als Bewegung „darstellen“.
Hier schimmert ein post-konstruktivistisches Weltbild durch: Wirklichkeit ist nicht direkt erfassbar, sondern ein Effekt vieler kleiner Prozesse, die wir durch Konstrukte beschreiben, ohne sie je wirklich zu greifen. Das Paradoxon entsteht dann, wenn wir die Modelle mit der Wirklichkeit verwechseln.
3. Ironie als Strategie gegen philosophische Erschöpfung
Formal ist der Vortrag durchzogen von einer ironischen Metaebene. Der Redner behauptet wiederholt, alles sei langweilig, die Erklärung sei „dick aufgetragen“, „kaum zu übertreffen“ an Langeweile. Doch gerade diese Selbstreferenzierung erfüllt eine wichtige Funktion:
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Erstens entwaffnet sie den philosophischen Hochton, der solche Vorträge sonst oft schwer konsumierbar macht.
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Zweitens schafft sie Raum für Distanz – der Zuhörer darf denken, ohne glauben zu müssen.
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Drittens spielt sie mit dem Paradoxon im Paradoxon: Ist ein Vortrag über Langeweile, der sich selbst langweilig nennt, automatisch spannend?
Die Ironie führt also nicht in die Ablehnung des Inhalts, sondern schützt ihn – sie wird zur Rüstung gegen dogmatische Lesarten.
Fazit: Zwischen Erkenntniskritik und Sprachspiel
Der Vortrag ist in Wahrheit ein subtiler Diskurs über die Grenzen der Erkenntnis, der Rolle der Sprache in der Welterzeugung und die Macht (und Ohnmacht) logischer Systeme. Bewegung – im Alltag selbstverständlich – wird hier zum Ausgangspunkt für einen erkenntnistheoretischen Abgrund: Wenn selbst diese einfache Erfahrung im Modell nicht widerspruchsfrei abbildbar ist, wie viel mehr gerät dann in Schieflage?
Und doch bleibt ein Trost: Das Leben funktioniert, trotz – oder gerade wegen – solcher Paradoxien. In der gelebten Wirklichkeit weiß man, dass Bewegung passiert. Modelle sind hilfreich, aber nicht die Wirklichkeit selbst. Philosophie endet also nicht mit der Erklärung, sondern mit der Einsicht in die Grenze des Erklärbaren.
In diesem Sinne: gute Nacht – und gute Erkenntnis.