Der Dialog ist weit mehr als ein Wortspiel über Bilder und Abbilder. Er stellt eine feinsinnige Reflexion über die Entstehung von Bedeutung, Originalität und Kommunikation dar. Zwischen ironischer Distanz und erkenntnistheoretischer Tiefe bewegt sich der Text auf einer Linie mit Philosophen wie Wittgenstein, Arendt oder Goodman – und bleibt dabei doch in seiner Form leicht, zugänglich und fast kindlich verspielt.
Was ist?
Ziemlich heiß, oder?
Das ist hier nicht das Thema.
Was war nochmal das Thema?
Das Thema war, worüber gesprochen werden sollte.
Sehr gut. Jetzt bin ich wieder im Bilde.
Was machst du im Bilde?
So bildliche Sachen, weißt du.
Auch abbilden?
Auf gar keinen Fall. Dann wäre ich ja im Abbilde. Das geht gar nicht.
Was ist der Unterschied zwischen Bild und Abbild?
Ein Bild muss kein Abbild sein. Kann es aber sein. Ein Abbild dagegen ist immer ein Abbild. Und natürlich auch ein Bild.
Sowohl Bild als auch Abbild sind immer Bilder?
Genau. Und Bild und Abbild sind auch immer Abbilder, außer wenn das Bild kein Abbild ist, dann ist es nur ein Bild, währenddessen ein Abbild immer ein Abbild ist.
So langsam verstehe ich. Ein Bild ist immer ein Bild, und ein Abbild ist immer ein Abbild. Und ein Abbild ist immer ein Bild. Nur ist ein Bild nicht immer ein Abbild.
Ausgezeichnete Zusammenfassung.
Also sind die Abbilder eine Teilmenge der Bilder. Und woher kommen die Bilder?
Aus dem Bildprozess. Dieser bildet die Bilder. Das ist auch der Grund, warum es 'Bild' heißt. Weil es gebildet wird.
Und das Abbild wird abgebildet durch den Abbildprozess. Das ist auch der Grund, warum es 'Abbild' heißt. Verstehe. Was ist die Quelle des Abbilds?
Ein Bild.
Ein Bild?
Genau. Oder auch ein Abbild.
Ein Abbild auch?
Sicher. Denn die Abbilder sind ja eine Teilmenge der Bilder. Daher spricht nichts dagegen.
Kann auch ein Bild das Abbild eines Abbildes sein?
Es ist insofern ein Bild, als dass auch ein Abbild ein Bild ist.
Verstehe. Was ist eigentlich die Menge der Bilder minus der Menge der Abbilder?
Das sind die Bilder, die keine Abbilder sind.
Gibt es dafür einen Namen?
Einfach Bilder.
Aber Abbilder sind doch auch Bilder. Wie soll man das unterscheiden?
Man muss eben nachfragen, ob das Bild vielleicht ein Abbild ist.
Man könnte auch 'Neubild' sagen, wenn es kein Abbild ist. Und das Neubild wird neugebildet durch den Neubildprozess.
Auch gut.
Wie funktioniert der Neubildprozess? Doch nicht so wie der Abbildprozess?
Stell dir einfach vor, dass beliebig viele Bildner zusammen an einem einzigen Bild bilden. Und wenn die sich dann mal geeinigt haben, nennt man das Ergebnis Neubild. Anschließend schauen die sich zusammen ihr Meisterwerk an und reflektieren ihre Arbeit. Und mit den Erfahrungen aus den bisherigen Neubildprozessen, machen sie sich ans nächste Bild. Nur musst du wissen, dass es viele Gruppen von Bildnern gibt, die auch im Austausch stehen. Da können die tollsten Neubilder entstehen, wenn mal alle so richtig in Fahrt sind.
Klingt interessant. Und der Abbildprozess?
Den haben die Bildner mittlerweile an eine Maschine ausgelagert. Das war denen auf die Dauer einfach zu langweilig.
Kann ich mir vorstellen.
Erinnerst du dich noch an die Hitze von vor zwei Jahren? Da hatten wir auch ein Gespräch geführt.
Analyse
Der hier analysierte Dialog beginnt scheinbar belanglos mit einer Bemerkung zur Hitze, entfaltet sich dann jedoch in eine überraschend dichte, philosophische Auseinandersetzung mit den Begriffen Bild und Abbild. Was wie ein ironisches Sprachspiel wirkt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als erkenntnistheoretische Reflexion über Repräsentation, Originalität und kollektive Bildproduktion. In seiner Form erinnert der Text an sokratische Dialoge – jedoch mit einem deutlichen Einschlag sprachlicher Selbstironie und postmoderner Meta-Kommunikation.
I. Sprachspiel und Bedeutungsverschiebung
Der Dialog entfaltet sich entlang der semantischen Differenz zwischen Bild und Abbild. Dabei wird deutlich: Jedes Abbild ist ein Bild, aber nicht jedes Bild ein Abbild. Diese Differenz bildet die Grundlage für eine kategoriale Unterscheidung, die mit mathematischer Präzision gedacht wird: Abbilder sind eine Teilmenge der Bilder. Damit greift der Dialog implizit auf die Mengenlehre zurück – ein klassisches Mittel der analytischen Philosophie, das hier spielerisch verwendet wird, um ein ansonsten schwer greifbares Problem zu veranschaulichen.
In Anlehnung an Ludwig Wittgenstein (Philosophische Untersuchungen, 1953) lässt sich dieser Austausch als „Sprachspiel“ deuten. Sprache ist hier kein festes Abbild der Welt, sondern eine Praxis, deren Bedeutung sich aus dem Gebrauch ergibt. Wenn die Sprecher darüber streiten, was als Bild oder Abbild zu gelten hat, tun sie genau das, was Wittgenstein beschreibt: Sie „erlernen“ Bedeutung durch Anwendung.
II. Das Bild, das nicht abbildet: Originalität und Schöpfung
Besonders interessant ist die Einführung des Begriffs Neubild, als Bezeichnung für ein Bild, das kein Abbild ist. Hier öffnet sich ein kreativer Raum jenseits der bloßen Repräsentation. Der Neubildprozess wird nicht maschinell, sondern durch Gruppen von Bildnern vollzogen. Dieser kollektive, schöpferische Akt ist das Gegenteil der monotonen Reproduzierbarkeit des Abbildprozesses, der ironisch an Maschinen ausgelagert wurde.
An dieser Stelle lassen sich Parallelen zu Hannah Arendts Konzept der „Natalität“ (vgl. Vita activa, 1958) ziehen – die Fähigkeit des Menschen, etwas radikal Neues in die Welt zu bringen. Der Neubildprozess entspricht genau dieser Idee: Er ist schöpferisch, dialogisch, gemeinschaftlich – und reflektiert. Im Unterschied dazu steht das Abbilden als repetitiver Akt ohne Eigenwert, beinahe mechanisch und bedeutungsleer.
III. Ontologie der Bilder: Realität, Repräsentation, Reflexion
Indem der Dialog fragt, woher die Bilder kommen und wie sie entstehen, öffnet er eine tiefere ontologische Frage: Was macht ein Bild eigentlich aus? Ist es bloße Darstellung eines anderen Gegenstands (Abbild), oder kann es auch ein autonomes Objekt sein, das seinen Sinn nicht aus einem externen Bezug, sondern aus sich selbst oder seinem Entstehungsprozess gewinnt?
Hier zeigt sich Nähe zu Nelson Goodmans Werk Languages of Art (1968), in dem zwischen Darstellung und Erfindung unterschieden wird. Ein Bild kann sowohl referentiell sein – also auf etwas verweisen – als auch syntaktisch-autonom. Der Dialog plädiert spielerisch, aber konsequent für letztere Kategorie: Die Neubilder stehen für eine ästhetische, kreative Eigenwertigkeit.
IV. Ironie und Rückverweis auf das Ursprüngliche
Die Schlusspassage des Dialogs – „Erinnerst du dich noch an die Hitze von vor zwei Jahren?“ – schlägt eine Brücke zum Anfang und lässt das Gespräch kreisförmig enden. Dies verweist nicht nur auf eine mögliche Kontinuität im Dialog der Sprecher, sondern erinnert auch an die Struktur von Erinnern und Wiederholung, die der Frage zugrunde liegt: Was war? Was ist?
Der Verweis auf die „Hitze“ dient somit doppelt – als scheinbar triviale Realität und als Marker für den wiederholten Beginn einer existenziellen Suche nach Bedeutung. Im Geiste von Søren Kierkegaard ließe sich sagen: Das Leben wird vorwärts gelebt, aber rückwärts verstanden.
Fazit: Das Bild als Denkform
Der Dialog ist weit mehr als ein Wortspiel über Bilder und Abbilder. Er stellt eine feinsinnige Reflexion über die Entstehung von Bedeutung, Originalität und Kommunikation dar. Zwischen ironischer Distanz und erkenntnistheoretischer Tiefe bewegt sich der Text auf einer Linie mit Philosophen wie Wittgenstein, Arendt oder Goodman – und bleibt dabei doch in seiner Form leicht, zugänglich und fast kindlich verspielt.
Er zeigt: Die Frage „Was ist?“ lässt sich nicht durch einfache Antworten lösen, sondern nur durch ein gemeinsames Denken in Bildern – und Neubildern.
Literaturhinweise:
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Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. 1953.
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Goodman, Nelson: Languages of Art. 1968.
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Arendt, Hannah: Vita activa oder Vom tätigen Leben. 1958.
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Kierkegaard, Søren: Wiederholung. 1843.