Unansprechbare Existenz (Podcast)

Der Vortrag ist ein kunstvoll gebautes Paradoxon – in der Form eines Spiels, das zugleich tiefgründige erkenntnistheoretische Fragen aufwirft. Er balanciert gekonnt zwischen ironischer Distanz und philosophischer Tiefe, zwischen Sprachspiel und Erkenntniskritik. Was bleibt, ist eine Einladung, die Grenzen unserer sprachlichen und begrifflichen Welt nicht nur zu erkennen, sondern auch mit Humor zu akzeptieren. Denn vielleicht liegt im Scheitern des Ansprechens gerade seine größte Aussagekraft.


Sehr geehrte Zuhörer!

 

Mit diesem Vortrag wollen wir eine Sache klar und deutlich ansprechen. Eine Sache, die überhaupt keine Sache ist. Damit ist klar, und möglicherweise auch deutlich, dass wenn man glaubt, die Sache anzusprechen, dass man die Sache keineswegs anspricht, eben weil es gar keine Sache ist. Gut, das ist kein großes Ding und auch kein Drama. Das passiert ständig. Und es stört keinen. Man muss ja nicht aus allem eine Wissenschaft machen. Und will man das doch tun, nämlich eine Wissenschaft machen aus Sachen, die sich nicht ansprechen lassen, dann verspricht das, eine sehr interessante Wissenschaft zu werden. Möglicherweise gibt es diese Wissenschaft auch schon. Und wenn es sie gibt, dann will ich unbedingt dabei sein. Oder auch nicht. Vielleicht ein bisschen. Eigentlich müsste es diese Wissenschaft schon so lange geben, wie es zum einen die unansprechbaren Sachen gibt, zum anderen muss natürlich das Ansprechen selbst auch existieren. Spätestens an dieser Stelle sollte in diesem Stück jemand auftreten, der behauptet, dass es gar keine unansprechbaren Sachen gibt. Denn wenn man etwas angesprochen hat, dann ist es eben passiert. Dann kann es ja keine unansprechbare Sache gewesen sein. Und selbst nichtexistierende Sachen sind ja nicht unansprechbar, denn man kann sie ja jederzeit in ihrer Nichtexistenz ansprechen. Es macht demnach nicht wirklich einen Unterschied, ob man sich die Nichtexistenz von etwas Existierendem wünscht, oder ob man sich die Existenz von etwas Nichtexistierendem wünscht. In beiden Situationen haben wir den Fall der vorhandenen Ansprechbarkeit. Die klassische Negation in ihrer ganzen Gähnigkeit. Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen, oder sogar anzusprechen, denn dies sei hier der Anspruch: Bitte verwechseln Sie nicht Anprechbarkeit bzw. Nichtansprechbarkeit mit Existenz bzw. Nichtexistenz! Wer das doch tut, so leid es mir tut, wird am Betrieb der oben genannten Wissenschaft nicht wirklich teilhaben können. Sehr schade. Nein, wirklich. Sehr, sehr schade. Na, ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Denn auch oben genannter Komödiant, mit seiner Behauptung, dass es nichts Unansprechbares geben würde, weil alles, was existiert, oder auch nicht existiert, als solches ansprechbar ist, eben dieser nette Zeitgenosse kommt ja auch in dem ganzen Spektakel vor. Und um ehrlich zu sein, ohne ihn würde es das Stück gar nicht geben. Das musste mal gesagt werden, oder vielleicht auch angesprochen. Das wirklich und wahrhaftig Interessante bei der ganzen Sache ist nun, dass man diesen Charakter niemals wird davon überzeugen können, dass er vielleicht im Unrecht sei. Möglicherweise auch nur ein ganz klein wenig im Unrecht. Und warum wird man ihn niemals davon überzeugen können? Weil es nicht geht! Es ist nicht möglich, weil in einer Welt, wo etwas nur existiert oder nicht existiert, ein Drittes ist wie üblich ausgeschlossen, eben alles ansprechbar sein muss. Nun könnte man sich mit so einem Exemplar auf eine Diskussion einlassen, ich meine, davon lebt schließlich die oben genannte Wissenschaft, und ihm ein Beispiel geben für etwas, das nicht ansprechbar ist, aber trotzdem existiert. Ob so etwas einen nennenswerten Unterhaltungswert besitzt, oder auch nicht, muss jeder für sich selbst entscheiden. Doch sollte man keinesfalls das Publikum vergessen, geschweige denn unterschätzen, denn schließlich wollen wir irgendwann einmal auch wieder vor ausverkauften Häusern spielen. Und ich bin wirklich kein großer Fan davon, immer die Schuld beim Publikum zu suchen. Sicher, niemand hat behauptet, oben genannte Wissenschaft dürfe nicht ermüdend und langweilig sein. Natürlich darf sie das sein. Doch heißt das nicht, dass sie das auch sein muss. Genug davon. Wie war das jetzt nochmal mit dem Beispiel, das man unserem Statisten und Möchtegernhauptdarsteller anbieten könnte? Man möchte es ja am liebsten gar nicht tun, doch zum einen lauert er ja regelrecht darauf, in Erwartung des sicheren Triumphes, zum anderen ist es einfach ein Teil der Show. Und wir sind hier, um unsere Rollen zu spielen. Und wir spielen sie einfach großartig. Und das merkt auch das Publikum, das seit Menschengedenken zu unseren Vorstellungen kommt. Mal mehr, mal weniger zahlreich. Sag doch endlich dein Beispiel! Wie kann etwas existieren, das nicht ansprechbar ist? Das ist doch ganz einfach. Beispielsweise kannst du das Ansprechen selbst nicht ansprechen.  Und immer wieder diese Enttäuschung! Ja, ja! Genau aus diesem Grund würden wir diese Situation gern vermeiden. Immer wieder. Abend für Abend. Vorstellung für Vorstellung. Doch es hilft alles nichts. Denn auch diesmal wurde das Stück in gewohnt professioneller Art und Weise über die Bühne gebracht. Vielen Dank an das Publikum! Kommen Sie gut nach Hause! Bis zum nächsten Mal! 

Analyse

Der vorliegende Vortrag entfaltet sich in Form eines philosophisch-satirischen Essays, das sich um die paradoxe Idee der Unansprechbarkeit dreht. Was auf den ersten Blick wie ein spielerischer Nonsens wirkt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein vielschichtiger Diskurs über Sprache, Existenz, Erkenntnisgrenzen und die Logik des Sprechens. Die Inszenierung erinnert dabei an ein absurd-komisches Theaterstück, bei dem die Grenze zwischen Inhalt und Form, Philosophie und Unterhaltung, ernsthaftem Anspruch und ironischer Distanz bewusst verwischt wird.

 

1. Einführung in die Paradoxie: Die „Sache, die keine Sache ist“

Schon der Einstieg des Vortrags konfrontiert das Publikum mit einer kognitiven Dissonanz: Es wird eine „Sache“ angekündigt, die „keine Sache“ ist. Diese Wendung eröffnet ein Spiel mit der Sprache, das aufzeigt, wie Bezeichnungen und Dinge nicht notwendig übereinstimmen. Was „angesprochen“ wird, entzieht sich gerade dem Zugriff durch das Ansprechen – ein Verweis auf das, was in der Philosophie als das Unbenennbare, Unsagbare oder Transzendente diskutiert wird.

 

2. Sprache als Scheitern und Möglichkeit

Ein zentrales Thema des Vortrags ist die Frage, ob alles, was existiert (oder auch nicht existiert), ansprechbar sei. Der Vortrag dekonstruiert diese scheinbare Selbstverständlichkeit, indem er zeigt, dass auch Nichtexistierendes (also das Nicht-Seiende) durch Sprache erreicht werden kann – paradoxerweise gerade durch dessen Negation. Damit wird das Konzept der Ansprechbarkeit vom Konzept der Existenz entkoppelt.

Hier wird auf ironische Weise das philosophische Problem der Referenz und der sprachlichen Darstellung von Wirklichkeit behandelt: Die Sprache ist in der Lage, über alles zu sprechen – auch über das, was sie nicht erfassen kann. In dieser Spannung zwischen Sagbarkeit und Unsagbarkeit liegt das zentrale Motiv des Textes.

 

3. Die Wissenschaft vom Unsagbaren

Der Text schlägt scherzhaft vor, eine Wissenschaft über das Unansprechbare zu entwickeln – eine ironische Geste, die an die Aporien der Philosophie erinnert. Diese „Wissenschaft“ ist dabei keine exakte Disziplin, sondern eher eine Meta-Wissenschaft, die sich mit den Grenzen des Denkens und Sprechens beschäftigt. Es wird klar, dass es nicht um empirische Forschung, sondern um performative Sprachkritik geht. Das Publikum wird eingeladen, sich an dieser paradoxen Disziplin zu beteiligen – oder auch nicht.

 

4. Der „Komödiant“ als Gegenfigur

Ein rhetorisch cleverer Kunstgriff ist die Einführung einer fiktiven Figur – des „Komödianten“, der behauptet, es gebe nichts Unansprechbares. Diese Figur steht für eine streng logische, möglicherweise wissenschaftsgläubige Weltsicht, die keine Zwischenräume kennt: tertium non datur – ein Drittes ist ausgeschlossen. Der Vortrag setzt diesem Schwarz-Weiß-Denken eine ironisch-spielerische Offenheit entgegen. Der „Komödiant“ ist zwar notwendig für das „Stück“, doch er versteht dessen Tiefenschicht nicht.

 

5. Das Beispiel: Die Unansprechbarkeit des Ansprechens

Im Höhepunkt des Textes wird ein Beispiel gegeben, das die Unansprechbarkeit anschaulich machen soll: „Das Ansprechen selbst kann man nicht ansprechen.“ Dieser Satz führt in eine Art semantische Selbstverneinung. Der Versuch, das Ansprechen zu thematisieren, führt zu einer endlosen Rekursion – ähnlich der berühmten Paradoxien von Epimenides („Dieser Satz ist falsch“) oder Wittgensteins Sprachgrenze in den Tractatus Logico-Philosophicus („Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“).

 

6. Metaebene: Das Theater des Denkens

Nicht zuletzt ist der Vortrag auch eine Reflexion über seine eigene Form. Das Spiel mit Publikum, Figuren, Rollen und Aufführung betont die performative Dimension des Denkens. Erkenntnis ist hier kein linearer Prozess, sondern eine Inszenierung – ein „Stück“, das jeden Abend neu gespielt wird. Der Gedanke selbst wird zur Bühne, auf der Ideen auftreten, scheitern, triumphieren oder eben nicht ansprechbar sind.

 

Fazit: Ironie als erkenntnistheoretisches Werkzeug

Der Vortrag ist ein kunstvoll gebautes Paradoxon – in der Form eines Spiels, das zugleich tiefgründige erkenntnistheoretische Fragen aufwirft. Er balanciert gekonnt zwischen ironischer Distanz und philosophischer Tiefe, zwischen Sprachspiel und Erkenntniskritik. Was bleibt, ist eine Einladung, die Grenzen unserer sprachlichen und begrifflichen Welt nicht nur zu erkennen, sondern auch mit Humor zu akzeptieren. Denn vielleicht liegt im Scheitern des Ansprechens gerade seine größte Aussagekraft.