Ein liebevoller Abgesang auf den intellektuellen Ernst – und zugleich eine Form seiner Fortführung im Modus der Ironie. Das schlaue Buch, das hier beschworen wird, könnte durchaus dieser Text selbst sein: Ein Buch, das sich seiner eigenen Nutzlosigkeit bewusst ist, gerade darin aber einen tiefen Sinn erkennt.
Denkbar definitiv ist die Definition des Denkens.
Ah, ja. Woher hast du das?
Habe ich mal irgendwo gelesen.
Ja, die sogenannten schlauen Bücher. Was ist aus denen nur geworden?
Keine Ahnung. Es scheint einfach niemand mehr da zu sein, der willens ist, ein schlaues Buch zu schreiben.
Bedauerlich. Oder werden die vielleicht noch geschrieben, nur liest sie keiner?
Kann ich mir nicht vorstellen. Wenn das Buch wirklich ein schlaues Buch ist, dann wird es einen Weg zum potentiellen Leser finden. Da bin ich ganz sicher.
Und wenn es keine potentiellen Leser für schlaue Bücher mehr gibt?
Das müssten die schlauen Bücher doch wissen, wenn sie wirklich so schlau sind. Es müsste zumindest ein schlaues Buch geben, in dem steht, dass es keine Leser für schlaue Bücher mehr gibt.
Da soll einer schlau draus werden.
Was bedeutet eigentlich das Wort schlau? Der Klang des Wortes ist jedenfalls merkwürdig.
Vielleicht ist das das Problem. Wenn ich zu dir sagen würde, dass du schlau bist, wie würdest du reagieren?
Gar nicht.
Ich würde so etwas auch nie zu dir sagen.
Ich zu dir auch nicht.
Früher hatten wir wenigstens noch die schlauen Bücher.
Was ist nur aus uns geworden...
Analyse
Der kurze, dialogische Text „Schlaue und nicht so schlaue Bücher“ setzt sich auf ironisch-melancholische Weise mit dem kulturellen Status des Intellekts und der Philosophie in einer Zeit auseinander, in der „schlaue Bücher“ offenbar aus der Mode gekommen sind – oder zumindest keiner mehr merkt, dass es sie noch gibt. Die Reflexion über Klugheit, Lesen und Bedeutungsverlust nimmt dabei sowohl das literarische Erbe als auch die Rezipienten auf augenzwinkernde Weise aufs Korn.
1. „Denkbar definitiv ist die Definition des Denkens.“ – Sprache als Selbstsatire
Der Text beginnt mit einem Satz, der als Parodie auf philosophische Prosa verstanden werden kann:
„Denkbar definitiv ist die Definition des Denkens.“
Alliteration, Tautologie, Zirkularität – der Satz ist sprachlich raffiniert und zugleich inhaltlich leer. Die Form suggeriert Tiefe, der Inhalt hingegen entzieht sich bei näherer Betrachtung. Dies ist kein Zufall, sondern eine ironische Selbstreferenz: Die Philosophie selbst wird hier als ein System beschrieben, das sich manchmal in selbstverliebter Begrifflichkeit verliert – eine Kritik, wie sie auch von Ludwig Wittgenstein bekannt ist, der davor warnte, dass Sprache sich in „Sprachspielen“ verirren könne und damit vom Leben abkoppelt.
Diese Sprachkritik trifft auch viele sogenannte „schlaue Bücher“, die hier als Gattung infrage gestellt werden: Sind sie wirklich so klug – oder nur klug klingend?
2. Die Einsamkeit der Intelligenz – Wer liest noch kluge Bücher?
Der Dialog entwickelt sich schnell zur Frage: Was ist mit den schlauen Büchern geschehen?
„Es scheint einfach niemand mehr da zu sein, der willens ist, ein schlaues Buch zu schreiben.“
Oder schlimmer:
„Und wenn es keine potentiellen Leser für schlaue Bücher mehr gibt?“
Diese Frage führt zu einer Reflexion über das Verhältnis von Produktion und Rezeption geistiger Werke. Der Text zeigt hier eine Art umgekehrte Intentionalität, bei der nicht mehr der Autor das Publikum sucht, sondern das kluge Buch selbst eine Form von Bewusstsein hat, das seine Leserschaft erkennen müsste:
„Wenn das Buch wirklich ein schlaues Buch ist, dann wird es einen Weg zum potentiellen Leser finden.“
Hierin liegt ein quasi-magisches Vertrauen in die Kraft des Inhalts – eine Idee, die entfernt an Platon erinnert: Das Wahre, das Gute, das Schöne strahlen aus sich selbst heraus. Doch die Frage bleibt: Was, wenn niemand mehr hinschaut?
3. Semantik des Schlaubegiffs – „Schlau“ ist verdächtig
Die Ironie des Textes kulminiert in der Reflexion über das Wort „schlau“ selbst:
„Der Klang des Wortes ist jedenfalls merkwürdig.“
In der Tat hat „schlau“ im Deutschen einen ambivalenten Beiklang. Es kann positiv („intelligent, geistreich“) oder negativ („verschlagen, listig“) konnotiert sein. Anders als „weise“, „klug“ oder „intellektuell“ besitzt „schlau“ einen unterschwelligen Unterton von Trickreichtum – was das Vertrauen in sogenannte „schlaue Bücher“ unterminieren könnte.
Der Austausch zwischen den Figuren, die sich gegenseitig nicht als „schlau“ bezeichnen wollen, unterstreicht diese semantische Distanzierung:
„Wenn ich zu dir sagen würde, dass du schlau bist, wie würdest du reagieren?“ – „Gar nicht.“ – „Ich würde so etwas auch nie zu dir sagen.“
Diese Verweigerung zeugt von einem ironischen Spiel mit sozialer Wahrnehmung: Wer als „schlau“ gilt, steht unter dem Verdacht, nicht nur zu denken, sondern dabei auch andere zu überlisten. Das macht die „schlauen Bücher“ zu fragwürdigen Freunden in einer zunehmend anti-intellektuellen Zeit.
4. Die Klage über den Verlust – ein Bildungspessimismus mit Augenzwinkern
Der Text endet mit einer resignativen Feststellung:
„Früher hatten wir wenigstens noch die schlauen Bücher.“ – „Was ist nur aus uns geworden...“
Dieser nostalgische Abgesang auf die gute alte Zeit, in der Bücher noch Bedeutung hatten, ist mehr als ein Gag. Es ist ein zartes Lamento über eine verlorengehende Lesekultur, die einst den Raum für komplexes Denken bot – heute jedoch von Algorithmen, Reizüberflutung und Instant-Meinungen verdrängt wird. Der Dialog erinnert damit an Neil Postmans Kulturkritik („Wir amüsieren uns zu Tode“) oder auch an die Warnung von Umberto Eco, dass die Kultur des Buches mehr sei als nur ein Medium – nämlich eine geistige Lebensform.
5. Metareflexion und Selbstparodie
Wie viele Texte des Proemial Philosophie Blogs ist auch dieser Dialog eine metaphilosophische Farce. Er spielt nicht nur mit Inhalten, sondern mit den Erwartungen an Inhalte. Die Abwesenheit eines klaren Standpunkts, die zirkulären Dialoge, die immer wieder in sich zusammenfallen, lassen sich auch als Kritik an der philosophischen Diskursblase lesen: Wenn alles relativiert, ironisiert und gebrochen wird – bleibt dann überhaupt noch eine Haltung übrig?
Fazit: Das letzte schlaue Buch?
Der Text „Schlaue und nicht so schlaue Bücher“ ist ein liebevoller Abgesang auf den intellektuellen Ernst – und zugleich eine Form seiner Fortführung im Modus der Ironie. Das schlaue Buch, das hier beschworen wird, könnte durchaus dieser Text selbst sein: Ein Buch, das sich seiner eigenen Nutzlosigkeit bewusst ist, gerade darin aber einen tiefen Sinn erkennt.
Die Frage bleibt offen: Sind wir die Letzten, die es noch lesen? Oder gibt es sie doch noch, die stillen, schlauen Leser in den Schatten der Gegenwart?
Vielleicht ist es so wie bei Jorge Luis Borges, der schrieb:
„Ich habe mir immer vorgestellt, dass das Paradies eine Art Bibliothek ist.“
Nur sollte man eben nicht zu laut sagen, dass man dort die schlauen Bücher sucht.
Weiterführende Verweise:
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Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen (zur Sprachverwirrung)
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Umberto Eco: Im Namen der Rose (zur Kultur des Lesens)
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Neil Postman: Wir amüsieren uns zu Tode (zur Krise des Diskurses)
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Jorge Luis Borges: Die Bibliothek von Babel (zur Unendlichkeit des Wissens)
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Richard David Precht: Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? (Pop-Philosophie als Beispiel für heutige „schlaue Bücher“)