Der Schneemann fiel vom Himmel

Der Dialog über den vom Himmel fallenden Schneemann ist eine literarische Miniatur über die Absurdität als erkenntnistheoretisches Werkzeug, die Macht der Sprache über Bedeutung und die Freude an der gedanklichen Grenzüberschreitung. Er zeigt, dass das Spiel mit Unsinn nicht in der Bedeutungslosigkeit endet, sondern gerade dort neue Bedeutungsräume erschließt.

Der Schneemann fiel vom Himmel.

Was war das für ein Geschrei.

Was reimt sich nur auf Himmel...? 

 

Hey, Hank. Was soll das? Was erzählst du da eigentlich? Der Schneemann fiel vom Himmel?

 

Was regst du dich so auf? Mein Gott! Von wo sollte der Schneemann denn sonst herunterfallen, wenn nicht vom Himmel? Vielleicht von einem Hochhaus? Oder von der Treppe? Wie würde das denn klingen: Der Schneemann fiel von der Treppe. Klingt doch völlig unsinnig. Warum zur Hölle sollte ein Schneemann von der Treppe fallen? Einen ganz schönen Blödsinn behauptest du da. Und außerdem stellt sich sofort die Frage, wie dieser ominöse Schneemann überhaupt deine Treppe hinaufgekommen ist? Hast du daran mal gedacht? Vielleicht mit einem Treppenlift? Gegangen kann er ja nicht sein. Oder hat er vielleicht Anlauf genommen und ist mit einem einzigen großen Satz die Treppe hinaufgesprungen? Ist es das, was du behauptest? Ist da überhaupt genug Platz für soviel Anlauf? Und wieviel Anlauf braucht so ein Schneemann überhaupt, um mit einem einzigen Satz eine Treppe hinaufzuspringen? Kannst du mir das sagen? Weißt du denn Bescheid, was das Beschleunigungsverhalten und die Sprungkraft von Schneemännern angeht? Und ist das bei allen Schneemännern gleich? Oder gibt es vielleicht eklatante Unterschiede? Und über die Höhe der Treppe schweigst du dich einfach aus. Nein, mein Lieber. Das kauf ich dir nicht ab. Ein Schneemann, der eine Treppe hinaufspringt. Das kannst du jemand anderem erzählen. Bei dem guten, alten Hank kommst du damit nicht durch. Ein Schneemann auf dem Treppenlift. Ja, das klingt für mich plausibel. Das kann ich mir durchaus vorstellen. Ich glaube sogar, dass so ein Schneemann richtig Spaß dabei haben könnte. Immer wieder hinauf mit dem Treppenlift und anschließend wieder herunterpurzeln. Ich denke, das könnte sogar ein großer Spaß für die ganze Familie Schneemann sein. Wenn es das ist, was du mir sagen willst, dann bin ich zu hundert Prozent bei dir. Ok, ich denke wir sind uns einig. War wie immer gut, mit dir geredet zu haben. Du bist wenigstens einer, mit dem man diskutieren kann. Andere sind so verbohrt, lassen sich einfach nicht von ihrer Meinung abbringen. Du bist da anders. Also, du kannst mich jederzeit ansprechen, wenn du mal wieder so ein Problem hast. Zusammen werden wir eine Lösung finden. So wie gerade eben. Melde dich einfach mal wieder. Bis später. Bye.

Analyse

 

Der vorliegende Dialog beginnt mit einem scheinbar absurden Satz: „Der Schneemann fiel vom Himmel.“ Was zunächst wie ein nonsensisches Kinderbild wirkt, entpuppt sich schnell als Türöffner für eine reflexive, humorvoll-verrückte, aber zugleich tiefgründige Auseinandersetzung mit Sprache, Bedeutung und logischem Denken. Die zentrale Figur, Hank, bewegt sich zwischen kindlicher Fantasie, surrealem Realismus und analytischer Sprachkritik – irgendwo zwischen Lewis Carrolls Nonsenspoesie, Wittgensteins Sprachspieltheorie und einem Hauch von Dadaismus.

 

1. Der Ausgangspunkt: Der fallende Schneemann als Sprachprovokation

„Der Schneemann fiel vom Himmel.“

Was wie ein märchenhaftes Bild beginnt, entfaltet sich im Dialog zur performativen Analyse des Satzes selbst. Der Sprecher des Dialogs, konfrontiert mit der bildhaften Aussage, reagiert mit einer Mischung aus Verwirrung und dem Wunsch nach logischer Klärung. Hank jedoch hält nicht inne – er nutzt die scheinbare Absurdität als Katalysator für eine Kaskade von Möglichkeiten, Bedeutungen, logischen Ketten und absurden Hypothesen.

Der Satz ist ein Paradebeispiel für das, was Ludwig Wittgenstein in den „Philosophischen Untersuchungen“ (1953) als Sprachspiel bezeichnet: Ein Ausdruck gewinnt seinen Sinn nur im Zusammenhang mit dem jeweiligen Gebrauch. Die Frage „Was soll das heißen?“ ist hier weniger auf Tatsachen gerichtet, sondern auf Verwendungszusammenhänge. Wenn der Schneemann „vom Himmel fällt“, dann nicht, weil dies meteorologisch plausibel wäre, sondern weil es sprachlich und imaginationspsychologisch etwas öffnet: eine neue Perspektive auf Realität, Imagination und Logik.

 

2. Die Ironie als Erkenntnismethode

Hanks Reaktion auf die Nachfrage ist ein kunstvoller Monolog im Stil sokratischer Ironie: Statt den „Unsinn“ der Aussage zu revidieren, stellt er dessen Gegenteil in Frage – etwa die Vorstellung, der Schneemann könne die Treppe herabfallen.

Er tut dies durch übertriebene Konsequenz: Wenn der Schneemann nicht vom Himmel gefallen ist – wie plausibel ist dann die Alternative? Wäre es wahrscheinlicher, dass er einen Treppenlift benutzt hat oder Sprungkraft besitzt?

Diese Art der argumentativen Überzeichnung erinnert an Reductio ad absurdum, eine klassische rhetorische Methode: Der Gegner wird durch Überdehnung seiner eigenen Prämissen widerlegt. Zugleich tritt hier Humor als Erkenntnismittel auf – vergleichbar mit der Philosophie des Absurden bei Albert Camus, für den der Widerspruch zwischen Sinnsuche und sinnloser Welt nicht zur Verzweiflung, sondern zur lächelnden Revolte führen sollte („Der Mythos des Sisyphos“, 1942).

 

3. Semantische Unschärfe und die Lust an der Konfusion

Hank spielt in seinem Monolog mit der Vieldeutigkeit und Unschärfe sprachlicher Kategorien: Was bedeutet es, dass ein Schneemann „fällt“? Was ist ein „Himmel“ – meteorologisch, theologisch, metaphorisch? Was bedeutet es, „von etwas“ zu fallen? Und vor allem: Welche Erwartungen an Logik und Realität binden wir unbewusst an scheinbar banale Sätze?

Die Antwort auf diese Unklarheiten wird nicht durch Klärung gegeben, sondern durch Verwirrung gesteigert. Das ist keine Schwäche, sondern eine bewusst eingesetzte Strategie, die auf postmoderne Sprachkritik verweist – etwa bei Jacques Derrida, der in der Dekonstruktion zeigt, dass jede Bedeutung nur durch Differenz und Kontext entsteht („Die Schrift und die Differenz“, 1967).

 

4. Der Monolog als Spiegel der Absurdität des Denkens

Was wie ein innerer Monolog Hanks erscheint, ist zugleich ein Dialog mit einem stummen Gegenüber – ein Gedankenstrom, der sich selbst befragt, verneint, ironisiert, überhöht und dennoch zu einem überraschenden Ergebnis kommt: Dass Unsinn nicht Unsinn sein muss, wenn er im richtigen Kontext gelesen wird.

„Du bist wenigstens einer, mit dem man diskutieren kann. Andere sind so verbohrt.“

In dieser ironischen Wendung wird der eigentliche Clou des Dialogs deutlich: Hank führt ein Selbstgespräch über Sinn und Unsinn, wobei sein Gegenüber (vermutlich er selbst oder ein imaginierter anderer) durch absolutes Schweigen zur idealen Projektionsfläche wird. Es ist ein innerphilosophisches Zwiegespräch – verwandt mit den Monologen von Becketts „Warten auf Godot“, in denen Sprache nur noch um sich selbst kreist, ohne aus sich herauszukommen.

 

5. Fazit: Sinn durch Unsinn – eine philosophische Volte

Der Dialog über den vom Himmel fallenden Schneemann ist eine literarische Miniatur über die Absurdität als erkenntnistheoretisches Werkzeug, die Macht der Sprache über Bedeutung und die Freude an der gedanklichen Grenzüberschreitung. Er zeigt, dass das Spiel mit Unsinn nicht in der Bedeutungslosigkeit endet, sondern gerade dort neue Bedeutungsräume erschließt.

Die Frage ist letztlich nicht: „Fällt der Schneemann vom Himmel?“, sondern: „Was bringt uns dazu, so zu fragen – und welche Denkmodelle liegen dem zugrunde?“