Keine Parodie, sondern ein ernst gemeintes Spiel. Es zeigt, wie Sprache auch jenseits von konventionellem Sinn Bedeutung erzeugen kann – durch Klang, Struktur, Rhythmus und Kontext. Es verweist auf das Spannungsfeld zwischen Zeichen und Sinn, Form und Inhalt, Sprechen und Verstehen. Im Dialog mit Dada, Wittgenstein, Derrida und Heidegger lässt sich das Gedicht als poetische Sprachreflexion lesen – ein Werk, das nicht verstehen will, sondern verstehbar gemacht werden soll.
Staborum genusia neder da less.
Gehoran denubia kleborum res.
Degifwe deran begomian dei
Jukuso grotinum blesibian wei.
Staborum genusia nida?
Gehoran denubia stabida!
Degifwe dran begominum du?
Jukuso grotinum blesibiranu.
Staborum gehoran degifwe jukuso,
Genusia denubia begomi ichtuso,
Stabida blesibian dra nunfastab,
Ichos an du, sichal lach fas schlab.
Analyse
Das Gedicht „Staborum genusia“ vom Proemial Philosophie Blog wirkt auf den ersten Blick wie eine geheimnisvolle Klangkomposition aus Fantasiewörtern. Es enthält kaum bekannte Begriffe, kaum semantisch fassbare Aussagen – und dennoch entwickelt es eine poetische Tiefe, die beim genauen Hinsehen philosophische Fragen aufwirft: Was ist Bedeutung? Was macht Sprache aus? Wie funktioniert Sinn – und was bleibt, wenn er sich aufzulösen scheint?
In der Tradition von Lautpoesie, Sprachkritik und poststrukturalistischem Denken tritt das Gedicht in den Grenzbereich zwischen Musik und Philosophie ein. Es lässt sich weniger lesen als vielmehr erfahren. In diesem Essay soll gezeigt werden, wie „Staborum genusia“ auf kunstvolle Weise die Mechanismen sprachlicher Bedeutung reflektiert, ohne sie explizit zu thematisieren – sondern durch ihre radikale Umkehrung.
1. Die Sprache als Form ohne Inhalt
Bereits der erste Vers entfaltet die poetische Strategie des Textes:
„Staborum genusia neder da less.“
Ein scheinbar grammatikalisch strukturierter Satz – Subjekt, Prädikat, Objekt – doch der Inhalt bleibt unverständlich. Die Wörter Staborum, genusia, neder, less sind (mit Ausnahme von less, das an das Englische erinnert) reine Neologismen. Dennoch vermitteln sie einen Eindruck von Bedeutungshaftigkeit. Der Satz klingt, als sei er sinnvoll – aber sein Sinn bleibt verborgen.
Der Text setzt damit auf ein Spiel mit der Syntax ohne Semantik – ein Konzept, das in der Philosophie der Sprache etwa bei Noam Chomsky anklingt, der mit Sätzen wie „Colorless green ideas sleep furiously“ zeigt, dass syntaktische Korrektheit nicht mit semantischer Verständlichkeit identisch ist.
2. Der Klang als Bedeutungsträger
Die Wortwahl und der Rhythmus erzeugen ein beinahe musikalisches Erlebnis. Durch Alliteration („blesibian – begomian“) und Reimähnlichkeit („wei – dei“, „du – wei“, „stab – schlab“) entsteht ein klangliches Netz, das den Leser intuitiv durch das Gedicht führt. Es erinnert an die Lautgedichte der Dadaisten, etwa Hugo Balls berühmtes „Karawane“:
„jolifanto bambla o falli bambla / großiga m’pfa habla horem / …“
Auch hier liegt der Fokus nicht auf der Bedeutung einzelner Wörter, sondern auf dem Erleben des Sprechens selbst – Sprache als Medium des Ausdrucks, nicht als Träger von Informationen.
Das Gedicht „Staborum genusia“ positioniert sich somit in einer poetisch-philosophischen Tradition, die Sprache nicht als bloßes Werkzeug, sondern als Weltformungsmedium versteht – im Sinne Martin Heideggers: „Die Sprache ist das Haus des Seins.“
3. Fragmentierte Semantik und implizite Fragen
Trotz seiner semantischen Undurchsichtigkeit ist das Gedicht nicht ohne Struktur. Besonders die mittlere Strophe folgt einem klaren Dialogmuster:
„Staborum genusia nida?“
„Gehoran denubia stabida!“
Hier wird eine Frage gestellt – erkennbar am Fragezeichen und der intonatorischen Struktur – und eine Antwort gegeben. Es entsteht ein rhythmisches Frage-Antwort-Spiel, das an sokratische Dialoge erinnert, auch wenn der Inhalt sich der Entschlüsselung entzieht. Dennoch simuliert der Text die Form eines erkenntnisorientierten Gesprächs – und ruft dadurch eine philosophische Dimension auf.
Was gefragt und geantwortet wird, ist unklar – aber dass gefragt wird, ist bedeutsam. Der Text stellt somit die Form des Fragens selbst aus – ein Verfahren, das an Jacques Derridas Dekonstruktion erinnert: Statt den Sinn durch Erklärung zu sichern, wird gezeigt, wie Sinn entsteht – und wie er gleichzeitig unterlaufen wird.
4. Das Ich und der Bruch am Ende
In der dritten Strophe erscheint plötzlich ein personalisiertes Moment:
„Ichos an du, sichal lach fas schlab.“
Hier taucht erstmals ein „Ich“ und ein „du“ auf – inmitten des ansonsten abstrakten Sprachflusses. Dieser Einbruch erzeugt eine emotionale Nähe und ruft Fragen nach Subjektivität auf: Wer spricht hier? Wer ist angesprochen? Und was bedeutet „lach fas schlab“?
Die Kombination von Personalpronomen mit unverständlicher Rede erinnert an die existenzielle Sprachverzweiflung, wie sie etwa in Samuel Becketts Werken inszeniert wird. Sprache wird zum Raum der Entfremdung – und zugleich zum einzigen Mittel, sich darin auszudrücken.
5. Philosophie des Unverstehens
Der größte Reiz des Gedichts liegt in seiner Fähigkeit, Verstehen durch Unverstehen zu provozieren. Indem es bewusst auf konventionelle Bedeutung verzichtet, zwingt es den Leser, seine Lesegewohnheiten zu hinterfragen. Der Text fragt implizit: Wie sehr verlassen wir uns auf das, was wir „verstehen“? Und was bleibt, wenn Bedeutung wegfällt?
Diese Strategie steht in der Nähe der Postmoderne, etwa bei Jean-François Lyotard, der das „Ende der großen Erzählungen“ proklamiert – also das Ende universaler Bedeutungssysteme. „Staborum genusia“ verweigert sich jeder großen Erzählung. Es bleibt ein Text voller Andeutung, Klang, Form und – ja – Leere.
Fazit: Sinn aus Unsinn – Das Gedicht als Spiegel philosophischer Sprachkritik
„Staborum genusia“ ist keine Parodie, sondern ein ernst gemeintes Spiel. Es zeigt, wie Sprache auch jenseits von konventionellem Sinn Bedeutung erzeugen kann – durch Klang, Struktur, Rhythmus und Kontext. Es verweist auf das Spannungsfeld zwischen Zeichen und Sinn, Form und Inhalt, Sprechen und Verstehen.
Im Dialog mit Dada, Wittgenstein, Derrida und Heidegger lässt sich das Gedicht als poetische Sprachreflexion lesen – ein Werk, das nicht verstehen will, sondern verstehbar gemacht werden soll. In einer Welt, in der Sprache allzu oft instrumentell verstanden wird, erinnert uns „Staborum genusia“ daran, dass Sprechen selbst ein Akt der Offenheit und des Staunens sein kann.
Literaturhinweise zur Vertiefung:
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Hugo Ball: Lautgedichte, in: „Die Flucht aus der Zeit“ (1927)
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Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen (1953), insbesondere §§2–43
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Jacques Derrida: Die Schrift und die Differenz (1967)
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Martin Heidegger: Unterwegs zur Sprache (1959)
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Jean-François Lyotard: Das postmoderne Wissen (1979)
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Samuel Beckett: Warten auf Godot (1952)