Stehfest und Stöckchen

Dieser Text steht exemplarisch für eine Form der Philosophie, die sich weder systematisch noch belehrend gibt, sondern in Alltagsdialoge eingewoben ist – ganz im Stil von Søren Kierkegaards ästhetischen Schriften, den späten Dialogen Ludwig Wittgensteins oder dem postmodernen Sprachspiel eines Jacques Derrida. Das scheinbar Banale verweist auf Grundfragen des Lebens: Was ist ein Spiel? Was ist Bedeutung? Und worauf gründet unser Handeln?

Du schaust dir ein uraltes Pixies-Konzert an? Wie alt ist das?

 

Dreißig. Lautstärke ist angemessen?

 

Definitiv.

 

Gleich zu Ende.

 

Schade.

 

Jetzt 2004.

 

Mmh. Was machen wir danach?

 

Wir spielen das Stöckchen-Spiel.

 

Oh, ja. Das haben wir schon lange nicht mehr gespielt. Was ist eigentlich das Stöckchen-Spiel?

 

Ich denke, das bleibt den Spielern überlassen.

 

Das klingt gut. Ich hasse es, wenn alles von vornherein feststeht.

 

Geht mir genauso. Am Besten ist es, wenn nichts feststeht.

 

Das steht fest?

 

Nichts steht fest.

 

Ach so, ja. Wenn es feststeht, ist es dann ein Stehfest? Also ein Ding, dass sehr stabil steht, oder eher eine Festivität, auf der man steht?

 

Ein Fest, auf dem man steht. Durchaus auch in stabiler Position.

 

Auf blödes Herumstehen habe ich keine Lust.

 

Ich auch nicht.

 

Wie geht denn jetzt das Stöckchen-Spiel?

 

Wenn ich das noch wüsste. Ich weiß nur, dass das gern auf Stehfesten gespielt wird. Hab ich jedenfalls gehört.

 

Ja, jetzt wo du es sagst. Im Zusammenhang mit Stehfesten hab ich auch schon vom Stöckchen-Spiel gehört. Ich kann aber echt nicht mehr sagen, wer mir davon erzählt hat. Ist aber eigentlich auch egal. Fang doch einfach an.

 

Alles klar. Ohne Stöckchen? Wo bekomme ich denn jetzt ein Stöckchen her? Vielleicht gibt es auf dem Stehfest Stöckchen?

 

Gute Idee. Lass uns schnell zum Stehfest gehen. Ich glaube die haben bis zehn geöffnet.

 

Vergiss es. Es ist schon kurz vor zehn. Wir haben auch echt kein Glück heute. Dabei hatte ich mich so auf das Stöckchen-Spiel gefreut. Den ganzen Tag habe ich an nichts anderes gedacht. So ein Desaster.

 

Ärgere dich nicht. Es gibt ja auch noch andere Spiele.

 

Andere? Das sagst du einfach so dahin? Nichts ist mit dem Stöckchen-Spiel vergleichbar. Es hat schon seinen Grund, weshalb das auf den Stehfesten gespielt wird. Genau genommen gehen die Leute nur deswegen zu den Stehfesten.

 

Das weiß ich doch. Ich meinte ja auch nur, dass es jetzt nichts bringt, sich zu ärgern.

 

Da hast du recht. Und weißt du was? Eigentlich finde ich Stöckchen-Spiel und Stehfest total doof.

 

Genau. Interessiert sich kein Mensch für.

 

Ganz genau. Und nun?

 

Das 2004er dauert deutlich länger.

 

Trotzdem gut.

 

Pixies eben.

 

Kennst du diesen Titel?

 

Nie gehört.

 

Geht mir genauso.

Analyse

1. Einleitung: Das Spiel beginnt

Der absurde, humorvolle Dialog „Stehfest und Stöckchen“ lädt zu einer scheinbar spielerischen Unterhaltung ein, deren Tiefgang sich jedoch beim genauen Hinsehen offenbart. Es geht um ein Konzert der Pixies, um ein „Stöckchen-Spiel“, um Stehfeste – und im Hintergrund um so viel mehr: Möglichkeit, Bedeutung, Sinnsuche und Spielregeln in einer Welt, die sich ihrer eigenen Beliebigkeit bewusst ist.

Dieser Text steht exemplarisch für eine Form der Philosophie, die sich weder systematisch noch belehrend gibt, sondern in Alltagsdialoge eingewoben ist – ganz im Stil von Søren Kierkegaards ästhetischen Schriften, den späten Dialogen Ludwig Wittgensteins oder dem postmodernen Sprachspiel eines Jacques Derrida. Das scheinbar Banale verweist auf Grundfragen des Lebens: Was ist ein Spiel? Was ist Bedeutung? Und worauf gründet unser Handeln?

 

2. Stehfest und Stöckchen – was soll das heißen?

Der Titel des Dialogs spielt mit der Vieldeutigkeit der Begriffe. Das „Stehfest“ kann als Veranstaltung verstanden werden, auf der man steht (wie auf einem Empfang), oder aber als ein Objekt oder Zustand von besonderer Festigkeit. Das „Stöckchen-Spiel“ wiederum wird nicht erklärt – und gerade darin liegt seine Funktion: Es steht für das Unbestimmte, das Offene, für ein Spiel, dessen Regeln nicht vorher festgelegt sind. Dieses Moment des Nicht-Festgelegten bildet die philosophische Grundspannung des Dialogs:

„Ich hasse es, wenn alles von vornherein feststeht.“

Was die Figuren im Dialog suchen, ist nicht ein Spiel im engeren Sinne, sondern ein Raum der Freiheit, in dem spontane Bedeutungen entstehen dürfen – ohne die Last von vorgefertigten Regeln. Diese Haltung erinnert stark an Johan Huizingas Konzept des Homo Ludens: Der Mensch ist nicht nur ein denkendes, sondern auch ein spielendes Wesen – und das Spiel ist ein ursprünglicher kultureller Akt.

 

3. Spiel und Sinn: Postmoderne Reflexe

Ein zentrales Motiv des Dialogs ist die ironische Umkehr von Erwartungen: Erst wird das Spiel sehnlich erwartet, dann verpasst, dann schließlich als „eigentlich doof“ verworfen. Diese Wendung verweist auf einen postmodernen Mechanismus: die Dekonstruktion von Ernsthaftigkeit durch Ironie, wie sie bei Jean Baudrillard oder Richard Rorty durchscheint. Was eben noch bedeutungsvoll erschien, wird zur bloßen Geste. Was tief empfunden wurde, wird als leere Form entlarvt.

Die Dialogpartner reflektieren ihr eigenes Spielverlangen und kommen am Ende zu einer Art nihilistischer Pointe: Vielleicht ist es ja ohnehin egal, ob das Spiel gespielt wird oder nicht. Vielleicht war alles nur Projektion. Der Wunsch nach Bedeutung und Struktur wird ad absurdum geführt – nicht in Verzweiflung, sondern in lakonischem Gleichmut.

 

4. Sprache als Selbstzweck

Wie in vielen Texten des Proemial Blogs, wird hier Sprache nicht primär zur Mitteilung verwendet, sondern als Spielfeld. Wenn etwa diskutiert wird, was ein „Stehfest“ sei – ein Ding oder ein Fest – entsteht ein bewusstes Spiel mit Mehrdeutigkeiten. Dieses Sprachspiel folgt keinem Zweck außer sich selbst. Es erinnert an Wittgensteins Aussage:

„Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“
(Philosophische Untersuchungen, §43)

Der Dialog lebt vom Gebrauch der Sprache, nicht vom Erreichen eines Zieles. Die Frage „Was ist das Stöckchen-Spiel?“ bleibt bewusst unbeantwortet. Die Reflexion über Regeln ersetzt das Spiel selbst. Das ist Philosophie in Reinform – wie bei Kant, nur mit weniger Ernst und mehr Indie-Charme.

 

5. Das Konzert als Rahmen – Die Pixies und die Zeit

Interessant ist, dass der Dialog vor dem Hintergrund eines Pixies-Konzerts stattfindet – erst ein altes, dann eines von 2004. Die Musik bildet den Klangteppich für das Geschehen. Der Zeitbezug („dreißig Jahre alt“, „2004“) evoziert Nostalgie und das Vergehen von Zeit, ohne es direkt zu thematisieren. Das Konzert wird gewissermaßen zum Symbol des Vergangenen, des bereits Feststehenden – im Kontrast zum offenen, gegenwärtigen Spiel des Stöckchens.

„Trotzdem gut.“
„Pixies eben.“

Der lapidare Ton verweist auf eine Haltung, die sich mit dem Vergangenen arrangiert – während die Suche nach dem Unbestimmten weitergeht.

 

6. Fazit: Spielen ohne Stöckchen

„Stehfest und Stöckchen“ ist ein heiterer, tiefgründiger Dialog über das Spiel mit Sprache, Bedeutung und Erwartung. Er erinnert uns daran, dass das Leben selbst ein Spiel ist – eines, das Regeln braucht, aber deren Abwesenheit auch ein Teil des Spiels sein kann. Vielleicht ist das Stöckchen-Spiel kein echtes Spiel, sondern nur ein Sinnbild für das menschliche Bedürfnis, sich Bedeutung zu schaffen, wo eigentlich keine ist.

Der Text bringt auf humorvolle Weise ein postmodernes Weltgefühl auf den Punkt: Ironie statt Dogma, Spiel statt Ernst, Bewegung statt Stillstand. Und wie so oft im Leben, endet auch dieser Dialog nicht mit einer Lösung – sondern mit Musik, die weiterläuft.

„Kennst du diesen Titel?“
„Nie gehört.“
„Geht mir genauso.“

Was bleibt, ist das gemeinsame Hören. Und das offene Spiel.

 

Literaturverweise:

  • Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen, Suhrkamp, 1953

  • Huizinga, Johan: Homo Ludens, Rowohlt, 1938

  • Kierkegaard, Søren: Entweder – Oder, Reclam

  • Baudrillard, Jean: Die Transparenz des Bösen, Merve

  • Rorty, Richard: Kontingenz, Ironie und Solidarität, Suhrkamp