Der Taco-Express

Der Text ist weit mehr als ein Dialog über mexikanisches Essen. Es ist eine minimalistische Reflexion über den Akt des Schreibens als Strategie gegen geistige Leere und ideologische Übernahme. Die bewusste Entscheidung, selbst banalste Inhalte zu produzieren – statt der Lücke das Feld zu überlassen –, ist eine Form des intellektuellen Widerstands. In einer Welt, in der Bedeutung ständig umkämpft ist, kann selbst ein Kochrezept ein Statement sein.

Ey, Hombre, wie geht’s?

 

Gut.

 

Gut? Ist das alles? Bist wohl beschäftigt?

 

Schreiben.

 

Ah, ok. Warum machst du das? Liest das denn jemand?

 

Spielt keine Rolle.

 

Spielt keine Rolle? Aber wieso?

 

Wenn ich nichts schreiben würde, wäre da eine Lücke, und die könnte jeder füllen, mit irgendetwas, was mir vielleicht überhaupt nicht recht wäre. So behalte ich die Kontrolle.

 

Lieber ein Kochrezept als gar nichts?

 

Genau. Fülle die Lücke mit einem Kochrezept, dann ist da kein Platz mehr für irgendwelchen ideologisch motivierten Unsinn. Ein klares Statement, wie ich finde. Weißt du, was mir dabei in den Sinn kommt?

 

Nein, was denn?

 

Mexikanisches Essen.

 

Nicht schlecht. Hätte ich auch Lust drauf.

 

Lass mich schnell noch einen kurzen Text über die Vorfreude auf mexikanisches Essen schreiben und dann ab in den Taco-Express.

 

Hau in die Tasten!

Analyse

Einleitung

Der kurze Dialog „Der Taco-Express“ ist ein scheinbar alltägliches Gespräch zwischen zwei Personen – beiläufig, lakonisch und kulinarisch angehaucht. Doch wie oft bei Texten dieses Blogs verbirgt sich hinter der schlichten Oberfläche eine tiefere, philosophisch aufgeladene Reflexion. Es geht um Sprache, Verantwortung, Kontrolle und – ganz nebenbei – um Tacos. Der Text wird damit zu einer Meditation über das Schreiben als Akt der Selbstbehauptung gegen das Bedeutungsvakuum und ideologische Vereinnahmung.

 

1. Schreiben als Schutzmechanismus

Der Schreiber antwortet auf die Frage „Warum machst du das? Liest das denn jemand?“ mit einer bemerkenswerten Aussage: „Spielt keine Rolle.“ Das Schreiben dient nicht (primär) der Kommunikation mit einem Publikum, sondern erfüllt eine existenzielle Funktion. Er schreibt, um eine Lücke zu füllen, „die jeder füllen könnte, mit irgendetwas, was mir vielleicht überhaupt nicht recht wäre.“

Dieses Argument verweist auf eine tiefere Angst vor Kontrollverlust im Bedeutungsraum. Die „Lücke“ steht metaphorisch für das unbesetzte Feld der Interpretation oder Meinungsbildung. Wird sie nicht aktiv besetzt – etwa durch das Schreiben eines harmlosen Kochrezepts –, könnte sie von Ideologien oder destruktiven Narrativen übernommen werden. Das erinnert an Hannah Arendts Warnung vor der Banalität des Bösen, die nicht selten in geistigen Leerstellen gedeiht, in denen niemand Verantwortung übernimmt.

 

2. Schreiben als „Lückenfüller“ gegen ideologischen Unsinn

Besonders pointiert ist die Idee, ein Kochrezept als Mittel gegen ideologische Vereinnahmung einzusetzen. Der Satz „Lieber ein Kochrezept als gar nichts“ bringt eine pragmatische Form des Widerstands zum Ausdruck: Wenn man nichts Weltbewegendes zu sagen hat, kann schon das Profane ein Akt der Verteidigung gegen das Schlimmere sein.

Diese Haltung erinnert an das Konzept des „Sinnverlusts“ bei Viktor Frankl (...trotzdem Ja zum Leben sagen, 1946). Für Frankl bestand Überleben auch darin, selbst unter widrigsten Bedingungen Bedeutung zu erzeugen. Die Lücke mit einem Rezept zu füllen, ist ein spielerischer, aber auch bewusster Akt der Bedeutungsproduktion: lieber banaler Inhalt als toxisches Vakuum.

 

3. Vorfreude, Fast Food und Flow

Die Wendung zum mexikanischen Essen wirkt zunächst wie ein absurder Themenwechsel – typisch für den Proemial-Stil. Doch auch hier verbirgt sich Bedeutung. Der Gedanke an mexikanisches Essen dient als Metapher für einen sinnlichen Impuls: Die Vorfreude wird produktiv gemacht, kanalisiert in einen Text. „Lass mich schnell noch einen kurzen Text über die Vorfreude auf mexikanisches Essen schreiben…“

Diese Verbindung zwischen unmittelbarem Lustgefühl und kreativer Tätigkeit verweist auf Mihály Csíkszentmihályis Konzept des Flow-Zustands: einer Versenkung im Tun, die zwischen Kontrolle und Loslassen oszilliert. Der Autor erlebt einen Zustand, in dem auch Alltägliches – Essen, Schreiben, Warten – Bedeutung erzeugen kann.

 

4. Ironie als Stil und Schutz

Nicht zu übersehen ist der ironische Grundton des Dialogs. Das Gespräch beginnt mit dem saloppen „Ey, Hombre“ und endet mit dem Slogan-haften „Ab in den Taco-Express“. Diese Ironie schützt vor Pathos, aber auch vor Selbstüberschätzung. Das Schreiben wird nicht zur großen Geste stilisiert, sondern zum praktischen Mittel im Alltag eines denkenden Menschen – mit Humor, Bewusstsein und einem Hunger nach Bedeutung.

 

Fazit

Der Taco-Express“ ist weit mehr als ein Dialog über mexikanisches Essen. Es ist eine minimalistische Reflexion über den Akt des Schreibens als Strategie gegen geistige Leere und ideologische Übernahme. Die bewusste Entscheidung, selbst banalste Inhalte zu produzieren – statt der Lücke das Feld zu überlassen –, ist eine Form des intellektuellen Widerstands. In einer Welt, in der Bedeutung ständig umkämpft ist, kann selbst ein Kochrezept ein Statement sein. Der Text zeigt: Philosophie muss nicht hochtrabend daherkommen. Manchmal fährt sie einfach im Taco-Express.

 

Literaturhinweise

  • Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, Piper, 1963

  • Frankl, Viktor E.: …trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager, Beltz, 1946

  • Csíkszentmihályi, Mihály: Flow: Das Geheimnis des Glücks, Klett-Cotta, 1990