Der Text ist keine simple Kritik an Wissenschaft oder Rationalität, sondern eine feinsinnige Reflexion über die epistemischen Rahmenbedingungen unseres Denkens. Er warnt vor der allzu raschen Bedeutungsverleihung, der selektiven Wahrnehmung kausaler Muster und dem Automatismus sozialer Erkenntnissysteme.
Viel Gewese um die These. Unverschränkt und ohne jegliche Fremdeinwirkung lässt sich kaum etwas beobachten, das nicht ohne Ursache ist. Ursächlich, wie so oft, ist das Hypothetische. Das eine unter vielen wird zu schnell bedeutungsvoll. Ein wirkungsvolles Ablenkungsmanöver, ein Filter zum Abscheiden der Störer. Nach getaner Arbeit dann endlich die Muse für die tatsächliche Hypothese. Und die anderen? Die interessieren sich für das Wann und das Wo. Und immer gleich und immer zeitig und immer raumhaft. Strukturlogik macht es möglich. Erzwingt es geradezu. So wird der Teufelskreis zur Realität, zum Glauben an äußere Auslöser. Doch auch kleine Freuden sind nicht zu unterschätzen. Ein Problem als solches erkannt zu haben, kann ein Anfang sein. Die soziale Gruppe als Zentrum der selbstbekannten Welt. Und so geht es immer weiter. Rätselnd und staunend beobachtend das unheimliche Getöse. Wissend, dass es vermutlich doch ganz anders ist, hält man sich an die Erkenntnisse, die, ausgespuckt vom strukturlogischen Teufelskreis, simple Wahrheiten versprechen. Zurück zur eigentlichen Hypothese der Überschätzung des Einflusses zeitnaher Fremdeinwirkungen. Das klingt etwas negativ und vielleicht sogar schädlich, doch hat wie immer alles zwei Seiten. Das ist längst bekannt in Kulturen, die die Wirkungsweise seit Jahrtausenden begriffen haben und die verwundert das große Mysterium der Sub-Objektivität bestaunen. So ist es eben.
Analyse
Im philosophischen Dialog „Bad Mantra“ begegnen wir einer tiefgründigen Reflexion über unsere methodischen, kognitiven und kulturellen Muster des Verstehens. Hinter der scheinbar lakonischen Sprache des Textes verbirgt sich ein erkenntnistheoretischer und kultureller Diskurs über die Macht der Kausalitätsannahme, den Einfluss struktureller Logiken, und die Möglichkeit einer erkenntnisoffenen Haltung gegenüber der Welt.
Der Text beginnt mit einem lapidaren, fast ironisch vorgetragenen Befund:
„Viel Gewese um die These.“
Diese Formulierung dient als programmatische Eröffnung. Sie kündigt bereits an, dass der folgende Text mit einer gewissen Skepsis auf das intellektuelle Konstrukt „These“ blickt – als Symbol für jede dogmatisch gesetzte Behauptung, die sich in argumentativen Zirkeln verselbstständigt. Es ist ein sprachlich reduziertes Mantra – ein „Bad Mantra“ –, das suggeriert, wie schnell Behauptungen zur Wahrheit verklärt werden, sobald sie in einem systemischen Zusammenhang stehen.
I. Die Hypothese als Ursache: Die Tyrannei der Strukturlogik
Der Text führt weiter aus:
„Ursächlich, wie so oft, ist das Hypothetische.“
Hier deutet sich bereits eine erkenntnistheoretische Kritik an: Wir neigen dazu, Hypothesen (Vermutungen, Konstrukte, Arbeitsthesen) als Ursachen zu interpretieren, sobald sie in ein funktionierendes System eingebettet sind – z. B. in wissenschaftliche Modelle, mediale Narrative oder kulturelle Deutungsmuster.
Dabei wird übersehen, dass diese Hypothesen nicht durch Fremdeinwirkung oder reine Objektivität entstehen, sondern bereits durch selektive Wahrnehmung und systemische Vorstrukturierung geprägt sind. Hier kommt die Kritik an der „Strukturlogik“ ins Spiel – ein Begriff, der nahelegt, dass es nicht die Welt selbst ist, die kausal und geordnet erscheint, sondern die Logik unserer Erkenntnissysteme, die diese Ordnung erzeugt. Dies erinnert an Michel Foucaults Begriff der Episteme, also der historisch bedingten Denkstruktur, die festlegt, was in einer Zeit als rational oder wahr gelten kann.
II. Der Teufelskreis der Kausalität: Eine epistemologische Kritik
„So wird der Teufelskreis zur Realität, zum Glauben an äußere Auslöser.“
Der Text spricht hier die erkenntnistheoretische Selbstverstärkung kausaler Erklärungsmuster an. Wenn alles, was geschieht, in eine vorgefertigte Logik von Ursache und Wirkung eingefügt wird, dann entsteht ein zirkuläres Erklärungsmodell, das die eigene Gültigkeit ständig reproduziert, aber kaum mehr Raum für alternative Denkweisen lässt.
Dieser Gedanke verweist auf Niklas Luhmanns Systemtheorie, die zeigt, wie soziale Systeme nur das verarbeiten können, was in ihrer eigenen Sprache und Logik anschlussfähig ist. Kausalität wird dabei nicht als Eigenschaft der Welt, sondern als Funktion sozialer Kommunikation verstanden.
In diesem Sinne ist die Welt, wie sie hier beschrieben wird, nicht nur beobachtet, sondern sozial produziert. Die „äußeren Auslöser“, an die geglaubt wird, sind vielmehr Funktionen unserer Erklärungssysteme – nicht die Realität selbst.
III. Die Rolle der Gruppe: Subjektivität im sozialen Raum
„Die soziale Gruppe als Zentrum der selbstbekannten Welt.“
Hier rückt der Text in den Bereich der sozialen Erkenntnistheorie vor. Das „Selbst“ erkennt nicht im luftleeren Raum, sondern immer als Teil eines sozialen Feldes, einer Gruppe, einer Kultur. Diese soziale Verankerung erzeugt kollektive Vorannahmen, filtert Wahrnehmungen und normiert Interpretation. Der Satz evoziert die Idee der Intersubjektivität – eine zentrale Kategorie u. a. bei Jürgen Habermas, aber auch in phänomenologischen Ansätzen (etwa bei Schutz oder Merleau-Ponty).
Zugleich wird angedeutet, dass diese Gruppenstruktur nicht nur Erkenntnisrahmen bereitstellt, sondern auch die Tragik des Irrtums mit sich bringt: Wir erkennen, was in unserem sozialen Raum als relevant gilt – und blenden systematisch aus, was nicht anschlussfähig ist. Das wiederum führt zur Verfestigung eines Weltbildes, das nur scheinbar objektiv ist.
IV. Die Überschätzung des Äußeren: Kritik am Empirismus
„Zurück zur eigentlichen Hypothese der Überschätzung des Einflusses zeitnaher Fremdeinwirkungen.“
Diese Formulierung ist eine klare Kritik an einer zu engen empiristischen Weltsicht: Der Glaube, dass äußere Einflüsse – messbare, zeitlich erfassbare Ereignisse – entscheidend für unser Verstehen der Welt seien, wird hier hinterfragt.
Es erinnert an die Subjektkritik Immanuel Kants, der deutlich machte, dass nicht die Dinge an sich unsere Erkenntnis strukturieren, sondern die Formen unserer Anschauung (Raum, Zeit) und Kategorien (z. B. Kausalität). Der Text geht allerdings noch weiter und betont, dass unsere Interpretation äußerer Einflüsse selbst kulturell und historisch geprägt ist – ein Gedanke, wie man ihn bei Thomas Kuhn oder Paul Feyerabend findet.
V. Die Sub-Objektivität: Zwischen Mystik und Erkenntniskritik
„Das große Mysterium der Sub-Objektivität.“
Diese poetische Formulierung verweist auf eine erkenntnistheoretische Haltung jenseits klassischer Subjekt-Objekt-Dualismen. Es ist eine Annäherung an das, was in östlichen Denktraditionen als Nicht-Dualität bekannt ist – etwa im Zen-Buddhismus, Daoismus oder Advaita Vedanta: eine Form des Erkennens, die das Trennende von Ich und Welt, von Beobachter und Beobachtetem aufhebt.
Die „Sub-Objektivität“ ist also eine Grenzkategorie – weder reine Objektivität (messbar, extern) noch Subjektivität (emotional, intern), sondern ein Dazwischen: eine Art transrationale Erkenntnis, die nicht durch strukturelle Logik, sondern durch kontemplative Wahrnehmung möglich wird.
Fazit: Die Gefahr des „Bad Mantra“ – und die Hoffnung auf erkenntnistheoretische Offenheit
Der Text „Bad Mantra“ ist keine simple Kritik an Wissenschaft oder Rationalität, sondern eine feinsinnige Reflexion über die epistemischen Rahmenbedingungen unseres Denkens. Er warnt vor der allzu raschen Bedeutungsverleihung, der selektiven Wahrnehmung kausaler Muster und dem Automatismus sozialer Erkenntnissysteme.
Zugleich bietet er einen Ausblick auf alternative Erkenntniswege: die Infragestellung eigener Hypothesen, das Verlassen strukturlogischer Denkkreise, und eine Offenheit für „sub-objektive“ Wirklichkeiten – also für eine Welt, die sich nicht vollständig in Begriffe und Thesen fassen lässt.
In gewissem Sinne ist „Bad Mantra“ eine Einladung zur philosophischen Bescheidenheit: Wer erkennt, dass selbst das Hypothetische eine Ursache ist, hat begonnen, den Teufelskreis der Erklärung zu durchbrechen.
Literaturverweise (implizit im Essay):
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Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus
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Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge
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Edmund Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie
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Niklas Luhmann, Soziale Systeme
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Thomas Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen
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Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft
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Paul Feyerabend, Wider den Methodenzwang
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Zen-Buddhismus und Daoismus (als Hintergrund für „Sub-Objektivität“)