Ein Text, der mit minimalem Vokabular eine maximale Reflexion erzeugt – über Sein, Sprache, Wirkung und Subjektivität. Er entfaltet eine Philosophie des Wirkens, die ontologisch, sprachkritisch und ironisch zugleich ist. Durch seine spielerische Struktur und die konsequente Überführung sprachlicher Konventionen ins Absurd-Metaphysische zeigt er: Das Subjekt ist nur, indem es wirkt.
Bist du?
Ja, ich bin.
Wirklich?
Die Art und Weise des Wirk ist wirklich. Sagt schon der Name.
Du bist ein Wirk?
Wenn ich wirklich bin, dann bin ich wohl auch ein Wirk. Das scheint mir eine sehr allgemeine Kategorie zu sein.
Wirkst du?
Wäre ich sonst?
Wirklich?
Ob ich wirklich wirke? Ich denke, ich bin ein wirklich wirkender Wirk. Das ist wirklich so. Ein wirklich wirkender Wirk, der auf ganz wirkhafte Art und Weise, und des wirkhaften Wirkens mächtig, einfach so durch die Gegend wirkt.
Des Wirkens mächtig? Du hast die Wirkmacht?
Die Wirkmacht, und damit die Wirkmächtigkeit, wurde mir wirklich und wirkhaft verliehen, um überhaupt und wirklich ein wirkmächtig wirkender Wirk sein zu können, der mit seiner Wirkmacht, und damit Wirkmächtigkeit, auf wirksame Art und Weise, wirklich ein wenig durch die Gegend wirkt.
Und wie ist sie so?
Die Gegend? Ganz nett. Wobei, genau genommen, wirke ich nicht einfach durch die Gegend. Das ist nur so eine Redensart. Ich bewirke die Gegend.
Du bewirkst die Gegend? Das klingt wirklich mächtig wirkmächtig.
Und nur durch dieses wirklich mächtige Bewirken der Gegend bin ich, um auf deine eingangs gestellte Frage zurückzukommen.
Danke. Das erklärt so einiges.
Analyse
Der Text „Wirksam“ entfaltet sich in Form eines reduzierten Dialogs – minimalistisch in Form, maximalistisch in Bedeutung. Ausgangspunkt ist eine radikale ontologische Frage: „Bist du?“ Doch anstatt eine eindeutige Antwort zu geben, entfaltet der Text ein feingliedriges, fast musikalisches Spiel mit dem Begriff „Wirk-“, in dem Sein, Wirkung, Macht und Sprache ineinander verschwimmen. Der Text erinnert in seinem Stil an philosophische Sprachspiele à la Wittgenstein, kombiniert mit einer fast drolligen semantischen Selbstverliebtheit, wie man sie von Lewis Carroll kennt.
1. Sein als Wirkung: „Ich bin ein Wirk“
Die Antwort auf „Bist du?“ ist zunächst simpel: „Ja, ich bin.“ Doch sofort wird sie durch die Nachfrage „Wirklich?“ destabilisiert – und so setzt sich ein zirkulärer Reflexionsprozess in Gang: Was bedeutet es wirklich, zu sein? Im Zentrum steht dabei die Verschmelzung von Sein und Wirken.
„Wenn ich wirklich bin, dann bin ich wohl auch ein Wirk.“
In dieser Wendung zeigt sich ein Rückgriff auf das Wortfeld des „Wirkens“ als erkenntnistheoretische Kategorie. Das Sein wird nicht aus sich selbst heraus legitimiert, sondern durch die Tätigkeit des Wirkens: Das Subjekt ist, weil es wirkt. Diese Denkfigur lässt sich mit Aristoteles' Begriff der energeia (ἐνέργεια) vergleichen: Wirklichkeit ist die Verwirklichung von Möglichkeit durch Tätigkeit.
2. Wirkmacht und Wirkmächtigkeit: Ironie als ontologische Verstärkung
„Ich denke, ich bin ein wirklich wirkender Wirk.“
Spätestens hier wird deutlich, dass es dem Text nicht nur um ein Begriffsspiel geht, sondern um eine ironische Verdichtung: Die Häufung von „wirklich“, „wirksam“, „Wirk“, „Wirkmacht“, „Wirkmächtigkeit“ erzeugt einen komisch-überladenen Effekt. Die Sprache scheint sich fast selbst zu verzehren – eine Strategie, die an poststrukturalistische Theorien erinnert, insbesondere an Jacques Derrida, der darauf hinweist, dass Bedeutungen niemals fest, sondern immer durch Verschiebung und Wiederholung produziert werden.
Der Begriff „Wirkmächtigkeit“ ist im eigentlichen Sprachgebrauch ungewöhnlich – durch die Kombination mit der „Wirkmacht“ entsteht ein künstliches Machtgefüge, das in sich selbst gründet. Es erinnert an Foucaults Konzept von Macht, die nicht „etwas ist“, sondern nur als relationale Wirkung sichtbar wird: Das Subjekt wirkt, weil es wirkt – und ist nur dadurch mächtig.
3. Das Bewirken der Gegend: Vom Subjekt zur Konstruktion
„Ich bewirke die Gegend.“
Diese Aussage stellt eine ontologische Umkehrung dar. In der Alltagssprache „wirkt man in der Gegend“ – eine Redensart ohne metaphysischen Gehalt. Doch im Text wird daraus eine fundamentale Tat: Die Gegend selbst wird durch den Wirkenden „bewirkt“.
Hier nähert sich der Text konstruktivistischen Positionen wie denen von Nelson Goodman („We make worlds“): Die Welt ist nicht einfach da – sie ist das Produkt unserer Aktivität, unserer kategorialen, sprachlichen und symbolischen Ordnung. Das Subjekt erzeugt die Bedingungen seiner Umgebung durch seine Wirkung.
4. Sprachstruktur als Wirkstruktur
Was der Text performativ vorführt, ist eine Art metaphysisches Sprachspiel, das das Seinsverständnis sprachlich erzeugt:
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„Ich bin“ wird zu „Ich bin ein Wirk“
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„Ich wirke“ wird zu „Ich bin ein wirkmächtig wirkender Wirk“
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„Ich wirke in der Gegend“ wird zu „Ich bewirke die Gegend“
Diese Eskalation des Begriffsrepertoires erinnert an die Poetik von Gertrude Stein oder an Loriots Sprachhumor, bei dem Bedeutung durch Wiederholung dekonstruiert und neu gesetzt wird. So entsteht ein ironisch-spekulativer Diskurs, der seine eigene Absurdität geradezu feiert – ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Er bleibt ernst im Spiel.
5. Die Rückbindung an die Anfangsfrage
„Danke. Das erklärt so einiges.“
Am Ende kehrt der Text zur Ursprungsfrage zurück – und suggeriert, dass durch das komplexe, fast barocke Wirkgeflecht nun etwas klarer sei. Doch was genau klarer wurde, bleibt offen. Der Satz ist ein Verweis auf die Art des philosophischen Dialogs selbst: Man tut so, als wäre nun etwas erklärt, obwohl das Gespräch eigentlich nur die Unbestimmtheit verschoben hat.
Dies ist eine typische Strategie des Sokratischen Dialogs – nicht das Finden von Antworten, sondern das Erzeugen von Einsicht in die Begrenztheit der Begriffe ist das eigentliche Ziel.
Fazit: Der Wirk als Denkfigur des postironischen Subjekts
„Wirksam“ ist ein Text, der mit minimalem Vokabular eine maximale Reflexion erzeugt – über Sein, Sprache, Wirkung und Subjektivität. Er entfaltet eine Philosophie des Wirkens, die ontologisch, sprachkritisch und ironisch zugleich ist.
Durch seine spielerische Struktur und die konsequente Überführung sprachlicher Konventionen ins Absurd-Metaphysische zeigt er: Das Subjekt ist nur, indem es wirkt. Und das Wirken selbst ist wiederum nichts anderes als ein sprachlich vermittelter Vollzug – der sich nie vollständig erklären kann.
Verweise & Denkhilfen
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Aristoteles – Metaphysik / Nikomachische Ethik: Begriff der energeia (Wirklichkeit als Tätigkeit)
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Ludwig Wittgenstein – Philosophische Untersuchungen: Sprachspiele als kontextabhängige Bedeutungsträger
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Jacques Derrida – Grammatologie: Bedeutung durch Differenz und Wiederholung
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Michel Foucault – Überwachen und Strafen: Macht als Wirkung, nicht als Besitz
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Nelson Goodman – Ways of Worldmaking: Welten als Konstrukte durch symbolische Tätigkeit
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Gertrude Stein – „A rose is a rose is a rose“: Semantische Verschiebung durch Wiederholung
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Proemial Blog: Sprache als Metaphysikspiel – ein wiederkehrendes Motiv