Personale Beständigkeit

Ein sprachphilosophisches Miniaturdrama, das uns vorführt, wie fragil Identität, Sinn und Wahrheit sind, sobald sie in Sprache gefasst werden. Der Text operiert mit paradoxen Selbstreferenzen, ironisiert die Idee einer kohärenten Person und legt damit offen: Das Subjekt entsteht im Nachdenken, im Widerspruch, im gemeinsamen Formulieren – und oft im Scheitern.

Hallo, du! Hast du schon eine Idee, was du und ich ihm sagen sollen?

 

Ja, ich. Eine Idee hast du.

 

Du weißt, dass du und ich gegenüber ihm eine Aussage machen müssen, die ein Ergebnis ist, zu dem du und ich gemeinsam gekommen sind.

 

Ja, ja. Durch langwierige Diskussionen sind du und ich zu dem Ergebnis gekommen, dass du und ich folgende Aussage treffen usw...

 

Du und ich sind dir und mir demnach einig, das zu sagen, was du und ich gestern besprochen haben?

 

Genau das.

 

Also sagen du und ich ihm, dass meine und deine Diskussionsergebnisse allesamt Unsinn sind?

 

Exakt. Das sagen du und ich ihm.

 

Und wenn er nun behauptet, dass das nicht sein könne, da dann ja auch diese Aussage selbst Unsinn sein müsse? Dass das worauf du und ich sich mit dir und mir geeinigt haben, selbst Unsinn sei?

 

Du weißt nur, dass du und ich diese unendlich lange Diskussion hatten, und die kann ja nicht Sinn oder Unsinn gewesen sein. Du hast jedenfalls noch nie gehört, dass eine Diskussion Sinn oder Unsinn sein kann. Das Resultat möglicherweise schon. Die Diskussion hat einfach stattgefunden. Und dabei ist etwas entstanden, nämlich deine und meine gemeinsame Aussage. Was er nun mit dem Ergebnis anstellt, ist sein Problem.

 

Recht hast du.

 

Ja, das hast du.

Analyse

Der Text „Personale Beständigkeit“ spielt mit den Grenzen personaler Identität, mit den Feinheiten sprachlicher Selbstreferenz und der performativen Widersprüchlichkeit von Aussagen über sich selbst. Was vordergründig wie ein absurdes oder verspielt-paradoxes Gespräch erscheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein philosophisch tiefgründiges Experiment, das zentrale Probleme der Sprachlogik, der Ich-Psychologie und der Identitätstheorie thematisiert.

Die miteinander verschränkten Rollen von „du“, „ich“, „dir“, „mir“ erzeugen ein labyrinthisches Gespräch, das Fragen nach Subjektivität, kollektiver Urheberschaft, Wahrheit und Sinn von Aussagen aufwirft. Der Text steht damit in einer Traditionslinie, die von Ludwig Wittgenstein über Donald Davidson bis zu postmodernen Theoretiker:innen wie Judith Butler reicht.

 

1. Die Verschränkung von Identitäten: Du und ich sind... wer?

„Du und ich sind dir und mir demnach einig, das zu sagen, was du und ich gestern besprochen haben?“

Der Text dekonstruiert systematisch die Vorstellung eines stabilen, eindeutig identifizierbaren „Ich“. Indem sich „du“ und „ich“ auf sich selbst und einander beziehen, entsteht ein Konstrukt der Vervielfachung des Selbst. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Sprecher und Adressat, zwischen Selbst und Anderem. Das erinnert an Martin Bubers Dialogphilosophie (Ich und Du), allerdings mit einem twist: Die dialogische Struktur wird nicht auf eine existenzielle Begegnung hin aufgelöst, sondern in ein zirkuläres Sprachspiel transformiert.

Zugleich steht das im Kontrast zur cartesianischen Tradition, in der das „Ich“ als einheitlicher Ursprung des Denkens gilt. Der Text zeigt: Sobald mehrere Subjektpositionen gemeinsam eine Aussage formulieren sollen, wird das Ich relational, fluide – und damit auch hinterfragbar.

 

2. Sprachlogik und das Problem selbstbezüglicher Aussagen

„Also sagen du und ich ihm, dass meine und deine Diskussionsergebnisse allesamt Unsinn sind?“

In dieser Wendung tritt ein klassisches Selbstbezüglichkeit-Paradoxon zutage: Wenn die Aussage lautet, dass alle eigenen Aussagen Unsinn sind, dann müsste auch diese Aussage Unsinn sein – was wiederum bedeutet, dass sie möglicherweise doch sinnvoll ist. Dies erinnert stark an das Lügner-Paradoxon („Diese Aussage ist falsch“) oder an Tarski’s Theorie der semantischen Paradoxien, die zeigen, dass Aussagen über Aussagen zu Widersprüchen führen können, wenn die Ebenen der Sprache (Objektsprache und Metasprache) nicht sauber getrennt werden.

Hier macht sich der Text einen meta-kommunikativen Witz: Die eigene Diskussion wird als „Unsinn“ deklariert, aber das geschieht in einem Satz, der genau das Ergebnis dieser Diskussion ist – eine Form ironischer Selbstaufhebung, ganz im Sinne von Wittgensteins Sprachkritik in den Philosophischen Untersuchungen.

 

3. Die Diskussion als ontologisches Ereignis

„Du hast jedenfalls noch nie gehört, dass eine Diskussion Sinn oder Unsinn sein kann. Die Diskussion hat einfach stattgefunden.“

Hier wird das Gespräch als autonomer Vorgang dargestellt – unabhängig von seinem Ergebnis. Diese Perspektive lehnt eine instrumentelle Sichtweise von Kommunikation ab und stellt vielmehr das Stattfinden selbst als Tatsache in den Mittelpunkt. In gewissem Sinne ist das eine Rückbesinnung auf Hans-Georg Gadamers hermeneutischen Dialogbegriff: Das Gespräch ist nicht nur Mittel zur Wahrheit, sondern selbst Ort der Wahrheit.

Was dabei entsteht – die Aussage – ist kontingent, aber das Gespräch selbst ist Begegnung, Existenzform, Bestätigung gemeinsamer Subjektivität. Das Ich ist nicht vor dem Gespräch vorhanden, sondern wird erst im Gespräch mit dem Du stabilisiert, auch wenn diese Stabilität flüchtig bleibt.

 

4. Kollektive Autorschaft und geteilte Verantwortung

„Was er nun mit dem Ergebnis anstellt, ist sein Problem.“

Hier tritt ein weiteres Motiv zutage: Die Entkopplung zwischen Autorschaft und Geltung. Die Sprecher:innen übernehmen keine Verantwortung für die Interpretation ihrer Aussage durch einen Dritten („ihm“). Dies verweist auf postmoderne Konzepte der Autorschaft à la Roland Barthes’ „Tod des Autors“ – der Sinn eines Textes liegt nicht mehr in der Intention der Schreibenden, sondern entsteht im Akt der Rezeption.

Die Aussage ist ein Produkt kollektiver Diskussion, aber ihre Rezeption ist offen – was wiederum das dialogische Prinzip untergräbt. Identität, Sinn und Kommunikation sind nicht kontrollierbar, sie sind offene Prozesse.

 

5. Was bleibt von „personaler Beständigkeit“?

Der Titel des Textes stellt eine ironische Klammer dar. „Personale Beständigkeit“ suggeriert psychologische Kohärenz, die durch das Sprachspiel systematisch unterwandert wird. Das Ich ist hier kein stabiles Zentrum, sondern ein Knotenpunkt im sprachlichen Netz, immer abhängig vom „Du“, von Kontext, Gespräch und Rückkopplung. Die „Beständigkeit“ liegt – wenn überhaupt – in der gemeinsamen, wiederholten Auseinandersetzung.

In gewissem Sinn lässt sich der Text als radikale Anwendung dessen verstehen, was Donald Davidson mit seinem Konzept der „radikalen Interpretation“ meinte: Ein Subjekt (bzw. zwei) konstruieren sich ihre eigene Bedeutung über den Akt der Zuschreibung von Überzeugungen und Absichten – in einem unabschließbaren Prozess.

 

Fazit: Identität im Gespräch, Wahrheit im Unsinn

„Personale Beständigkeit“ ist ein sprachphilosophisches Miniaturdrama, das uns vorführt, wie fragil Identität, Sinn und Wahrheit sind, sobald sie in Sprache gefasst werden. Der Text operiert mit paradoxen Selbstreferenzen, ironisiert die Idee einer kohärenten Person und legt damit offen: Das Subjekt entsteht im Nachdenken, im Widerspruch, im gemeinsamen Formulieren – und oft im Scheitern.

Er ist ein Beitrag zur Philosophie der Sprache, zur Diskurstheorie und nicht zuletzt zur Philosophie des Subjekts, der zeigt: Selbst in der Aussage „Alles war Unsinn“ steckt eine Form von Sinn – nämlich die, dass wir miteinander gesprochen haben.

 

Theorieverweise im Überblick

 

Thema Philosoph:in / Werk Relevanz

 

Sprachparadoxien

 

Alfred Tarski – Semantik der natürlichen Sprache

 

Selbstbezüglichkeit, Wahrheitsprobleme

 

Sprachspiele und Sinn

 

Ludwig Wittgenstein – Philosophische Untersuchungen

 

Bedeutung durch Gebrauch

 

Dialogische Identität

 

Martin Buber – Ich und Du

 

Identität im Gegenüber

 

Hermeneutik und Gespräch

 

Hans-Georg Gadamer – Wahrheit und Methode

 

Gespräch als Seinsmodus

 

Tod des Autors

 

Roland Barthes – La mort de l’auteur

 

Autorschaft und Interpretation

 

Radikale Interpretation

 

Donald Davidson – Inquiries into Truth and Interpretation

 

Sinn als Zuschreibung im Dialog