Der Dialog ist eine prägnante Meditation über die Möglichkeit und Unmöglichkeit eines einheitlichen Weltprinzips. Durch seine spielerische Sprache und sokratische Struktur macht er deutlich: Es ist weder falsch noch sinnlos, nach dem Grund für alles zu fragen – aber es ist gefährlich, ihn zu früh zu setzen.
Was ist los?
Ich lehne den Gehirnmonismus ab.
So, so. Vermutlich soll ich jetzt sagen, ob ich den Gehirnmonismus auch ablehne, oder ob ich das vielleicht nicht tue, weil ich ein Vertreter des Gehirnmonismus bin. Um ehrlich zu sein, ich habe mich noch nicht entschieden, da ich nicht weiß, was das ist.
Aber Monismus kennst du schon?
Das ist ja wirklich ein Begriff aus dem täglichen Leben. Monismus ist doch, wenn letztlich alles nur nach einem einzigen Prinzip funktionieren soll?
Einem einzigen Grundprinzip, um genau zu sein.
Wir beide funktionieren demnach nach einem einzigen Grundprinzip. Ist das so? Und wenn ja, ist es dasselbe? Oder vielleicht auch nur das gleiche? Dann würde ich sagen, unser gemeinsames Grundprinzip nennt sich Leben.
Das Grundprinzip muss aber für alles gelten.
Dann sage ich, dass alles lebt. Man muss nur den Begriff etwas weiter fassen. Pass auf, jetzt hab ich es. Das Grundprinzip ist überall dasselbe, und doch sind alle unterschiedlich.
Wie bei den Gehirnen!
Nein, das passt immer noch nicht. Ich glaube der Fehler ist, dass wir uns wirklich einen Grund vorstellen, auf dem alles Existierende gleich oder unterschiedlich ist. Ich denke, davon müssen wir einfach wegkommen.
Den Grund weglassen? Da bin ich dafür! Denn ohne Grund gibt es auch keinen Gehirnmonismus mehr. Und gegen den bin ich nämlich.
Ja, ich erinnere mich. Man könnte aber auch sagen, dass alles sein eigener Grund ist. Das heißt, es gibt mindestens so viele Gründe, wie es Existenzen gibt. Was hältst du davon?
Dann wäre das Grundprinzip nicht der gemeinsame Grund, sondern der individuelle Grund? Das sind auf jeden Fall zwei unterschiedliche Situationen. Jetzt muss ich doch nochmal nachfragen. Wenn alle ihr eigenes Grundprinzip sind, könnten die dann nicht trotzdem gleich sein?
Jetzt drehen wir uns im Kreis. Denn für Gleichheit und Ungleichheit brauchst du eine gemeinsame Grundlage und die hatten wir doch gerade verneint. Du erinnerst dich?
Aber es gibt schon gemeinsame Grundlagen?
Richtig. Die gibt es. Doch wurden die erst erzeugt durch die Existenzen selbst.
Und was ist jetzt mit dem Monismus?
Keine Ahnung. Ok, ich versuche zusammenzufassen.
Dafür wäre ich dir sehr dankbar.
Man kann also durchaus von einem einzigen Grundprinzip sprechen, nur darf man dieses auf gar keinen Fall gleichsetzen mit einer gemeinsamen Grundlage für alles Existierende.
Klingt gut. Nun die abschließende Scherzfrage: Und das deckt sich mit der Definition von Monismus?
Ganz bestimmt.
Analyse
In dem kurzen Dialog „Prinzip und Lage“ begegnen wir zwei Gesprächspartner:innen, die mit sichtbarem Ernst und hörbarer Ironie ein komplexes philosophisches Konzept erkunden: den Monismus – insbesondere in seiner neuzeitlichen Form als Gehirnmonismus. Der Text ist keine trockene Abhandlung, sondern ein Beispiel für lebendige, suchende Philosophie im sokratischen Sinne. Er öffnet Denk- und Sprachräume, in denen zentrale metaphysische Fragen auf humorvolle Weise durchgespielt werden: Gibt es ein einziges Grundprinzip? Ist Gleichheit ohne gemeinsamen Grund möglich? Was bedeutet überhaupt „Grund“?
Der folgende Essay will diesen philosophischen Spielraum ernst nehmen – nicht trotz, sondern gerade wegen seines scherzhaften Tons.
1. Was ist (Gehirn-)Monismus?
Der Dialog beginnt mit einem scheinbar entschlossenen Statement: „Ich lehne den Gehirnmonismus ab.“ Dabei bleibt offen, worum es sich dabei genau handelt. Die Gesprächspartner:innen folgen dem methodischen Prinzip des Sich-Vergewisserns durch Sprache, ähnlich wie es bei Sokrates und Platon geschieht: Man weiß nicht genau, worüber man spricht, aber durch das Gespräch selbst klärt sich mehr, als man vermutet.
Monismus ist eine metaphysische Position, die davon ausgeht, dass die Vielfalt der Erscheinungen auf ein einziges Grundprinzip oder eine einzige Substanz zurückführbar ist. Diesem Gedanken steht etwa Descartes’ Dualismus entgegen, der Körper und Geist als zwei verschiedene Substanzen betrachtet.
Der Gehirnmonismus (oder auch physikalischer Monismus) wäre demnach die These, dass alles – insbesondere das Bewusstsein – letztlich auf Gehirnprozesse zurückführbar ist. Vertreter solcher Positionen finden sich u. a. im heutigen Neuroreduktionismus, etwa bei Patricia Churchland, die das Denken konsequent an neurobiologische Strukturen bindet. Der Dialog, so viel wird schnell klar, spielt diese Annahme jedoch nicht mit – er verwickelt sie stattdessen in ihr eigenes Paradox.
2. Ein Grund für alles – oder alles ein eigener Grund?
Zentral ist das Nachdenken über den Begriff des Grundes. Im Dialog heißt es:
„Ich glaube der Fehler ist, dass wir uns wirklich einen Grund vorstellen, auf dem alles Existierende gleich oder unterschiedlich ist.“
Diese Bemerkung verweist auf ein klassisches Problem der Substrattheorie: Wenn man die Vielfalt der Welt auf ein einheitliches Substrat (z. B. Materie, Geist oder Energie) zurückführen will, muss man diesem Substrat eine gewisse logische Priorität zuschreiben – es ist „Grund“ im Sinne der Erklärung. Doch was geschieht, wenn man diesen Grund selbst infrage stellt?
Hier nähert sich der Text der Philosophie Leibniz’, insbesondere seinem Satz vom zureichenden Grund (principium rationis sufficientis), der besagt, dass es für jedes existierende Ding und jedes wahre Urteil einen hinreichenden Grund geben müsse. Der Dialog unterläuft diese Denkfigur jedoch, indem er die Möglichkeit aufwirft, dass jedes Ding sich selbst Grund sei:
„Man könnte aber auch sagen, dass alles sein eigener Grund ist.“
Damit wendet sich der Text einer relationistischen Ontologie zu, wie sie u. a. bei Whitehead oder auch in Aspekten der späten Phänomenologie (z. B. bei Merleau-Ponty) anklingt: Die Realität ist keine Konstruktion aus einer fundamentalen Einheit, sondern ein Netz individueller, miteinander verwobener Existenzen, die sich wechselseitig konstituieren – ohne ein einheitliches Prinzip im Hintergrund.
3. Monismus als Situationsverwirrung
Der Text schlägt immer wieder vor, dass die Lage (d. h. die konkrete Situation oder Perspektive) mit dem Prinzip (der übergeordneten Erklärung) verwechselt oder vermengt wird. Dieses Missverhältnis verweist auf ein grundsätzliches Problem vieler philosophischer Systeme: Die Versuchung, das Eine als Erklärung für das Viele zu setzen.
Doch der Dialog entlarvt dies als Zirkelschluss. Wenn man beispielsweise sagt, dass alle Dinge durch ein Prinzip verbunden sind, muss dieses Prinzip entweder abstrakt genug sein, um alles zu umfassen (und damit leer), oder konkret genug, um Bedeutung zu haben (und damit exklusiv). Beides schließt sich aus.
Der kluge Witz des Dialogs liegt darin, dass genau diese Unmöglichkeit anerkannt wird – und zwar nicht in Form resignierter Skepsis, sondern in produktiver Ironie:
„Jetzt drehen wir uns im Kreis. Denn für Gleichheit und Ungleichheit brauchst du eine gemeinsame Grundlage und die hatten wir doch gerade verneint.“
Der Kreisgang erinnert an Hegels Dialektik, bei der sich Begriffe in ihren Widersprüchen selbst überholen. Doch anstatt eine neue Synthese zu erzwingen, bleibt der Dialog im Schwebezustand – zwischen dem Wunsch nach Prinzip und der Lage, kein Prinzip greifen zu können.
4. Zwischen Ernst und Ironie: Philosophie als Spiel mit Grundlagen
Am Ende heißt es:
„Man kann also durchaus von einem einzigen Grundprinzip sprechen, nur darf man dieses auf gar keinen Fall gleichsetzen mit einer gemeinsamen Grundlage für alles Existierende.“
Das ist vielleicht der klügste Satz des ganzen Dialogs – denn er hebt die Denkbewegung selbst über das Bedürfnis nach abschließender Wahrheit. Der Text lässt den Monismus nicht fallen, aber er verabschiedet sich vom dogmatischen Monismus – und das mit einem Lächeln. Wie schon bei Nietzsche, der die Philosophie als ein Tänzeln auf Abgründen verstand, ist hier der Humor nicht Beiwerk, sondern Methode.
Fazit: Prinzip ohne Lage – oder Lage ohne Prinzip?
Der Dialog „Prinzip und Lage“ ist eine prägnante Meditation über die Möglichkeit und Unmöglichkeit eines einheitlichen Weltprinzips. Durch seine spielerische Sprache und sokratische Struktur macht er deutlich: Es ist weder falsch noch sinnlos, nach dem Grund für alles zu fragen – aber es ist gefährlich, ihn zu früh zu setzen. Zwischen Gehirnmonismus, Individualgrund und Prinzipienkritik oszilliert eine Haltung, die man vielleicht „existenzielle Ironie“ nennen könnte: der Wunsch, die Welt zu verstehen – bei gleichzeitiger Einsicht, dass das Prinzip womöglich nie mit der Lage zusammenfällt.
So bleibt als Schlusspointe nicht nur ein Gedanke, sondern eine Haltung: Philosophie beginnt dort, wo Prinzip und Lage nicht deckungsgleich sind – und trotzdem gemeinsam gedacht werden.
Literaturhinweise (Auswahl):
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Baruch de Spinoza: Ethica ordine geometrico demonstrata (1677)
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Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie (1714), Satz vom zureichenden Grund
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Alfred North Whitehead: Process and Reality (1929)
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Maurice Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung (1945)
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Patricia Churchland: Neurophilosophy (1986)
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Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft (1882)
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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Wissenschaft der Logik (1812–1816)
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Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen (1953)