Ein philosophischer Text im Gewand der Parodie, eine Mischung aus Heidegger-Zitat, Sprachskepsis, Wortspiel und Ironie. Er macht sich lustig über die Ernsthaftigkeit ontologischer Debatten, ohne sie zu verleugnen. Gerade durch seine ironische Brechung bleibt er der Philosophie treu – nicht im Suchen nach Wahrheit, sondern im Ertragen der Ungewissheit.
Denn, liebe Zuhörer, welche ist die Frage, die unseren weiteren und gemeinsamen Weg bestimmen wird? Rufen oder anrufen? Richtig! Was gemeinhin einen guten Ruf hat, wird öfter gerufen werden als das andere. Denn dieses ist keineswegs berufen zu sein. Doch in welchem Ruf steht das Sein? Kein Grund in Berufung zu gehen, denn das Sein ist schon immer gewesen. Aus dieser Sicht wird jegliches Gewese um irgendwelches Sein nicht nur nicht verständlicher, ganz im Gegenteil, das Sein wird erst durch das Gewesene in seinem Recht zu sein zum Nämlichen. Wer hier noch irgendwelche Zweifel hat, und kommen sie noch so gerufen, wird es schwer haben, jemanden vom Gegenteil zu überzeugen. Denn was ist das Gegenteil denn mehr als ein schwaches Spiegelbild des Teils. Der Ruf hallt über die Brücke, die eine vermeintliche Verbindung darstellt zwischen dem Sein und seinem Gegenteil, oder auch dem nicht-Sein und dem Teil. Die Anteilnahme an Teil und Gegenteil ist keineswegs eine einfache Rechnung. Hier gibt es Stellungswechsel, Überschneidungen, Doppelagenten und vieles mehr.
Nichts ist so wie es scheint. Das ist doch wenigstens etwas, dass wenigstens das Nichts, wenn auch nur scheinbar, erkennbar ist. Doch wie entsteht der Schein des Nichts? Ist es bloße Reflexion des Seins? Ist der Schein des Nichts, das ja so ist wie es scheint, demnach nicht das Nichts selbst, sondern vielmehr das Sein, welches das Nichts benötigt, da es erst durch dieses gewissermaßen zu sich selbst kommen kann, weil erst dadurch eine Beziehung des Seins zum vollkommen Anderen möglich wird, auch wenn dieses Andere nur eine andere Ausprägung ein- und desselben Seins zu sein scheint? Spätestens hier fragt man sich doch, weshalb diese eher statische Beziehung von Sein und Nichts überhaupt einer Betrachtung wert ist, da mehr als offensichtlich ist, dass man sich letztendlich zwar mit etwas, doch nicht mit dem Wesentlichen beschäftigt. Bloße Spielerei, ein Abzählen des Abzählbaren, wieder und wieder, mit gleichzeitig infantiler Freude an der vermeintlichen Tatsache, dass man immer weiterzählen könnte, bis zur Unendlichkeit. Und die Bedeutung? Es gibt sie nicht. Fug und Recht oder Unfug und Unrecht? Liebe Zuhörer, vielen Dank für ihre fortwährende und leidenschaftliche Anteilnahme an der Bedeutsamkeit des gesprochenen Wortes. Gute Nacht.
Analyse
1. Einleitung: Philosophie als Sprachspiel
Der Text „Der Fug und sein Ruf“ ist ein sprachspielerischer, dichterischer Monolog, der sich mit der Ontologie, also der Lehre vom Sein, beschäftigt – allerdings nicht in der Form klassischer systematischer Philosophie, sondern als ironisch-reflexives Sprachgeflecht, das sich selbst und seine Begriffe beständig befragt, verschiebt, ironisiert. Was zunächst wie ein ironischer Vortrag klingt, erweist sich bei näherer Betrachtung als subtile Dekonstruktion ontologischer Kategorien – insbesondere des Seins, seines „Rufs“ und des „Nichts“. Die rhetorische Form – ein fiktiver Vortrag an „liebe Zuhörer“ – verstärkt dabei die performative Ebene: Der Text ist nicht nur philosophische Reflexion, er inszeniert sie.
2. Rufen oder anrufen – Vom Ruf des Seins
Der Text beginnt mit einem scheinbar banalen Gegensatz:
„Welche ist die Frage, die unseren weiteren und gemeinsamen Weg bestimmen wird? Rufen oder anrufen?“
Doch schon in dieser Wendung steckt ein Verweis auf einen tiefen philosophischen Topos: Der Ruf – als Anruf des Seins (vgl. Heidegger, Sein und Zeit) oder als Ruf zur Berufung, zur Sinnsuche, zur Zugehörigkeit. Wer gerufen wird, ist angesprochen, hat Anteil, ist Teil eines größeren Zusammenhangs. Doch wer ruft? Und wer hört?
„Denn dieses ist keineswegs berufen zu sein.“
Hier wird ironisch mit Heideggers Idee des „Zurufes des Gewissens“ gespielt, jenem Moment, in dem das Dasein aus der Uneigentlichkeit herausgerufen wird – in die Existenz, in Verantwortung, in „Berufung“. Der Text stellt diesen Gedanken aber auf den Kopf: Nicht jeder Ruf führt zur Berufung. Manche Dinge werden schlicht „öfter gerufen“ – also zum Beispiel das, was einen „guten Ruf“ hat. Ein Seitenhieb auf gesellschaftliche Konventionen, vielleicht sogar auf populäre Philosophie selbst.
3. Das Sein, das Gewesene und der Spiegel des Nichts
Zentrales Thema des Textes ist die Frage nach dem Sein – nicht als positiv festgelegter Begriff, sondern als Sprachspiel, das ständig zwischen Begriff und Bedeutung oszilliert. Das Sein steht in einem merkwürdigen Verhältnis zu seinem „Ruf“, zu seiner Vergangenheit (Gewesenes), zu seinem Gegenteil (Nichtsein) und zu seinem eigenen Schein.
„Doch in welchem Ruf steht das Sein? Kein Grund in Berufung zu gehen, denn das Sein ist schon immer gewesen.“
Der Text untergräbt die Vorstellung, das Sein ließe sich einfach bestimmen oder auf ein Fundament stellen. Vielmehr wird es hier als prozessuales, rückbezügliches Phänomen verstanden: Es ist nur „gewesen“, es zeigt sich im „Gewesenen“, nie direkt. Das Sein bekommt hier fast eine Heidegger’sche Färbung: Es ist nie das „Seiende“, sondern das, was sich in der Bewegung, im Rückblick, in der Beziehung zu anderem (z. B. dem Nichts) zeigt.
Die Beziehung zum Nichts wird dann entscheidend:
„Ist der Schein des Nichts […] vielmehr das Sein, welches das Nichts benötigt, da es erst durch dieses gewissermaßen zu sich selbst kommen kann?“
Hier wird eine zentrale These der existenzialistischen Ontologie angespielt: Das Sein versteht sich erst im Kontrast zum Nichts. Ohne Nichts – keine Grenzen, keine Endlichkeit, keine Bedeutung. Damit rückt der Text in die Nähe von Jean-Paul Sartre, der das Nichts als konstitutives Moment der Freiheit versteht (Das Sein und das Nichts, 1943).
4. Sprachkritik und die Parodie philosophischer Ernsthaftigkeit
Spätestens im letzten Drittel zeigt sich, dass der Text nicht nur über Bedeutung spricht, sondern deren Unmöglichkeit und Lächerlichkeit zugleich aufzeigt:
„Bloße Spielerei, ein Abzählen des Abzählbaren, wieder und wieder, mit gleichzeitig infantiler Freude [...] bis zur Unendlichkeit.“
Hier zeigt sich ein poststrukturalistischer Impuls – etwa bei Jacques Derrida oder Richard Rorty –, der die Vorstellung einer stabilen Bedeutung dekonstruiert. Sprache wird hier nicht als Vehikel von Wahrheit verstanden, sondern als ein endloses Spiel von Verweisungen, in dem sich jede Gewissheit verliert. Die Frage nach „Fug und Recht oder Unfug und Unrecht“ ist da fast schon zynisch gemeint: Alle Systematisierungsversuche sind letztlich Spiel – auch und gerade in der Philosophie.
Der Text verabschiedet sich dementsprechend nicht mit einem „Schluss“, sondern mit einer Meta-Reflexion über Sprache und Zuhörerschaft:
„Liebe Zuhörer, vielen Dank für ihre fortwährende und leidenschaftliche Anteilnahme an der Bedeutsamkeit des gesprochenen Wortes.“
Ein ironischer Abgesang – der Zuhörer wurde durch eine philosophische Farce geführt, die mehr Fragen stellt als Antworten gibt, und vielleicht gerade dadurch die Tiefe des Fragens selbst erfahrbar macht.
5. Fazit: Philosophie als Fug oder Unfug?
„Der Fug und sein Ruf“ ist ein philosophischer Text im Gewand der Parodie, eine Mischung aus Heidegger-Zitat, Sprachskepsis, Wortspiel und Ironie. Er macht sich lustig über die Ernsthaftigkeit ontologischer Debatten, ohne sie zu verleugnen. Gerade durch seine ironische Brechung bleibt er der Philosophie treu – nicht im Suchen nach Wahrheit, sondern im Ertragen der Ungewissheit.
Er erinnert an die zentrale Lektion von Wittgenstein:
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
(Tractatus Logico-Philosophicus §7)
Aber der Text spricht weiter – in voller Bewusstheit, dass seine Begriffe ins Leere rufen, dass der Ruf des Seins nicht beantwortet werden kann, und dass der Unterschied zwischen Fug und Unfug am Ende nur ein sprachlicher ist.
Vertiefende Literaturhinweise
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Martin Heidegger: Sein und Zeit (1927)
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Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts (1943)
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Jacques Derrida: Die Schrift und die Differenz (1967)
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Ludwig Wittgenstein: Tractatus Logico-Philosophicus (1921)
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Richard Rorty: Philosophie und die Spiegel der Natur (1979)