Urknall und Metapher

Der Dialog zwischen Hankman und seinem Gesprächspartner führt mit spielerischer Eleganz in die Tiefen der Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie. Er verbindet dabei humoristische Leichtigkeit mit existenzieller Schwere. Die Ausgangsfrage „Warum so still?“ entwickelt sich zu einer Auseinandersetzung mit der Grundstruktur menschlicher Weltaneignung. Handeln, so die zentrale Erkenntnis, ist immer auch Eingreifen.

Und, Hankman? Warum so still heute?

 

Jedes Tun ist ein aggressiver Akt.

 

Mach dir nichts draus. Und Glückwunsch zu dieser Erkenntnis. Falls es dich tröstet, du stehst damit in einer langen Tradition aggressiver Akte. Ich will nicht zu weit zurückgehen, doch war der erste bekannte aggressive Akt der Urknall. Zumindest nach heutiger Lesart. Nichts als pure Ausdehnung. Ausweitung der Existenz. Nicht besonders einfallsreich, doch von einer enormen Wucht. Diese Wucht ist uns leider ein bisschen verloren gegangen, daher tun wir das ein wenig smarter. Jedoch beruht letztendlich Alles darauf. Die einzige Motivation. Das wollen viele nicht wahrhaben, so wie du bis gerade eben, doch ist alles ein Handeln. Und wie sollte eine Handlung aussehen, die nicht irgendwie darauf hinausläuft, die Situation des Handelnden, oder seiner Interessengemeinschaft, jetzt oder zukünftig zu verbessern? Und selbst wenn du, zu deinem Nachteil, nicht handeln würdest, dann würdest du nur andere aggressive Handlungen begünstigen, würden andere sofort die Lücke füllen. Dank dir. Wie bist du eigentlich zu dieser Erkenntnis gekommen?

 

Der Urknall als erste aggressive Handlung. Das ist witzig. Wie ich darauf gekommen bin? Bisher hatte ich immer geglaubt, ich würde die Welt so ganz friedlich vor mich hin beschreiben. Du weißt schon. Man nimmt Informationen auf, hat ein paar Ideen und bastelt sich seine Vorstellungswelt zusammen. So eine Art Einbahnstraße. Von draußen nach drinnen. Man sieht, dass um einen herum etwas ist und nennt das dann zum Beispiel Materie. Und nun ist mir klar geworden, dass ich das nur tue, also dieses Benennen, um irgendwie an dieses Etwas, das ich nur mittels einer Metapher beschreiben kann, in diesem Fall die Materie, dass das einfach nur ein aggressiver Akt ist, um dieses Etwas irgendwie in den Griff bekommen zu können.

 

Die Metapher als aggressiver Akt? Das ist auch witzig. Und deutlich smarter als die plumpe Wucht des Urknalls. Und was fängst du nun mit dieser Erkenntnis an? Wirst du aufhören, das Unbegreifbare mittels Metaphern kolonisieren zu wollen? (Das nennt man übrigens Erkennen.)

 

Auf gar keinen Fall. Das ist nur ein größerer Blickwinkel.

 

Der wiederum neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet.

 

So ist es.

Analyse

Der vorliegende Dialog entfaltet sich wie ein erkenntnistheoretisches Gedankenexperiment in Alltagskleidung. Zwei Gesprächspartner – einer davon, wie so oft in diesen Texten, die Figur „Hankman“ – diskutieren über den Zusammenhang von Handlung, Sprache und Erkenntnis. Im Zentrum steht dabei eine zunächst provokante These: „Jedes Tun ist ein aggressiver Akt.“ Was als lakonischer Kommentar zur eigenen Zurückhaltung beginnt, wird im weiteren Verlauf zur Reflexion über das Wesen menschlicher Erkenntnisprozesse – mit besonderem Augenmerk auf die Rolle der Sprache und der Metapher.

 

1. Aggression als Grundmodus des Handelns

Der Ausgangspunkt ist existenziell und fast zynisch: Jegliches Handeln – selbst das bloße Benennen – wird als ein Akt der Grenzüberschreitung und damit als aggressiv charakterisiert. Dabei bezieht sich der Dialogpartner auf eine evolutionäre Logik: Jede Handlung dient letztlich der Verbesserung der eigenen Situation oder der der Gruppe. Diese Sichtweise erinnert an grundlegende Theorien aus der Soziobiologie (vgl. Richard Dawkins, The Selfish Gene, 1976), wo jegliches Verhalten – auch scheinbar altruistisches – auf die Optimierung eigener Reproduktionsvorteile zurückgeführt wird.

Der Urknall wird dabei ironisch als erster „aggressiver Akt“ gedeutet – ein humorvoller Verweis auf den Versuch der Physik, alles auf einen Ursprung zurückzuführen. Die Ausdehnung des Universums wird zur Metapher für das Wesen von Existenz überhaupt: Expansion, Durchsetzung, Raumgreifen – Prinzipien, die sich auf allen Ebenen des Lebens beobachten lassen, von der Biologie über die Kultur bis zur Erkenntnistheorie.

 

2. Erkennen als Kolonisierung des Unbegreifbaren

Besonders tiefgründig wird der Dialog, wenn er die Metapher als Mittel der Erkenntnis ins Visier nimmt. Was zunächst paradox klingt – die Metapher als aggressiver Akt – erweist sich bei näherer Betrachtung als bemerkenswerte Beobachtung: Wer eine Sache metaphorisch beschreibt, nimmt sie symbolisch in Besitz. Erkenntnis wird zur symbolischen Einverleibung. Die Sprache, insbesondere die Metapher, dient hier nicht bloß der Beschreibung, sondern der Kontrolle und Eingrenzung des Fremden.

In diesem Sinne wird Erkennen als eine Form der kognitiven Kolonisierung verstanden – eine Perspektive, die sich durchaus mit Ansätzen der Dekolonialen Theorie oder der poststrukturalistischen Erkenntniskritik (vgl. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, 1966) verbinden lässt. Auch dort wird Wissen nicht als neutral betrachtet, sondern als Ausdruck von Machtstrukturen und Einwirkungsinteressen. Sprache ist kein unschuldiges Medium – sie formt Realität, und sie tut das selektiv und interessengeleitet.

 

3. Metapher und Wirklichkeit: Zwischen Konstruktion und Grenzgang

Die zentrale These, dass auch das Benennen eine Form der Machtausübung sei, erinnert an Nietzsches Sprachkritik. In einem oft zitierten Aphorismus schrieb Nietzsche: „Was ist Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern“ (Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, 1873). Damit greift er genau jene Idee auf, die Hankman formuliert: Das, was wir „Wirklichkeit“ nennen, ist letztlich eine Ansammlung sprachlicher Metaphern – Hilfskonstruktionen, um das Unfassbare fassbar zu machen.

Doch auch wenn das Erkennen als aggressiver Akt verstanden wird, lehnt der Dialog die Erkenntnis nicht ab. Im Gegenteil: Es wird erkannt, dass Erkenntnis nicht neutral ist – eine Meta-Erkenntnis, die wiederum „neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet“. In dieser Haltung liegt eine Art moderner Pragmatismus: Wer weiß, dass Sprache die Welt formt, der kann auch bewusster mit ihr umgehen.

 

4. Handeln trotz Erkenntnis – oder gerade deswegen

Bemerkenswert ist die Haltung Hankmans am Ende des Gesprächs. Obwohl ihm nun bewusst ist, dass auch seine friedlich gemeinte Beschreibung der Welt ein aggressiver, einmachender Akt ist, hält er an dieser Praxis fest – jedoch mit einem erweiterten Bewusstsein. Nicht Verzicht, sondern Reflexion wird zur Antwort. Es geht also nicht darum, das Erkennen oder Handeln aufzugeben, sondern es mit kritischem Bewusstsein zu versehen.

Dieser Ansatz steht im Gegensatz zu radikal skeptischen oder nihilistischen Positionen. Vielmehr folgt der Dialog einer Haltung, wie sie etwa bei Hans Blumenberg formuliert wurde: Der Mensch ist auf Metaphern angewiesen, um sich in der Welt zu orientieren – selbst wenn (oder gerade weil) sie nicht wörtlich wahr sind. (Paradigmen zu einer Metaphorologie, 1960)

 

5. Fazit: Sprachhandeln als bewusste Grenzüberschreitung

Der Dialog zwischen Hankman und seinem Gesprächspartner führt mit spielerischer Eleganz in die Tiefen der Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie. Er verbindet dabei humoristische Leichtigkeit mit existenzieller Schwere. Die Ausgangsfrage „Warum so still?“ entwickelt sich zu einer Auseinandersetzung mit der Grundstruktur menschlicher Weltaneignung.

Handeln, so die zentrale Erkenntnis, ist immer auch Eingreifen. Und Sprache – besonders in ihrer metaphorischen Form – ist ein Werkzeug dieses Eingreifens. In dieser Sicht wird der Mensch zum Akteur, der zwar nie neutral handeln kann, aber durch Bewusstsein über die eigene Rolle zu einem verantwortungsvollen Konstrukteur von Wirklichkeit werden kann.