Ein Text, der sich einer eindimensionalen Interpretation entzieht. Er arbeitet mit Paradoxien, mit ironischer Überaffirmation und scheinbarer Tiefsinnigkeit – ein Stück philosophischer Dadaismus, das Fragen stellt, indem es Sprache dekonstruiert. Die zentrale Botschaft könnte lauten: Wer in der Welt der Permaktivität überleben will, muss lernen, über den Rand der Üblichkeit hinauszudenken.
Sieht man einmal ab von der Unbeflissenheit der Üblichen, dann bleiben, entgegen allgemeiner Erwartungsweisen, nur noch die Verdächtigen. Das in Abrede zu stellen, wäre mehr als nur eine Untertreibung. Im Gegenteil, die natürlichen Instinkte stehen außerhalb jeden Zweifels. Man kann es drehen und wenden wie man will. Es ändert sich im Grunde genommen überhaupt nichts. Abgesehen von einer Kleinigkeit, die leider viel zu oft und auch zu gern übersehen wird. Doch dazu später mehr. Denn es soll hier nur um das Wesentliche, das Grundübel jeglicher Weltbeschau gehen. Angenommen, dass es noch viel mehr werden, was wäre zu tun? Eines ist sicher, dass es überhaupt nichts bringt althergebrachten Strategien zu vertrauen. Diese sind abgenutzt, überholt, stammen aus einer seltsam fremd anmutenden Vergangenheit. Die Zukunft, wie auch immer diese definiert sein mag, ist das, worauf unser aller Fokus zu richten ist. Damit bin ich auch schon fast am Ende dieses kleinen Einblicks in die große Welt der Permaktivität. In diesem Sinne: Feed your head (and don't forget the banana).
Analyse
In seinem kryptisch-ironischen Text „Die Üblichen und die Verdächtigen“ entfaltet der Proemial Philosophie Blog eine stilistisch wie gedanklich hybride Reflexion, die sich bewusst gegen Eindeutigkeit und lineares Denken sperrt. Der Text changiert zwischen essayistischer Kritik, parodistischer Metasprache und philosophischer Meditation über kollektive Trägheit, Gewohnheitsdenken und Zukunftsblindheit.
Er reiht sich ein in eine Tradition, die sich am ehesten mit der kritischen Theorie, aber auch mit postmodernen Sprachspielen im Sinne Derridas oder Lyotards assoziieren lässt. In seiner Form wie auch in seiner Aussage ist der Text ein Kommentar zur gegenwärtigen Haltungslosigkeit im Angesicht der Komplexität moderner Wirklichkeit – und zugleich ein Spiel mit ihrer absurden Repräsentation.
1. Die Üblichen – Routinen der Gedankenlosigkeit
Gleich zu Beginn wird die Dichotomie eingeführt: „Sieht man einmal ab von der Unbeflissenheit der Üblichen, dann bleiben [...] nur noch die Verdächtigen.“
Die „Üblichen“ stehen hier symbolisch für die Routinegesellschaft, für Denkgewohnheiten und gesellschaftliche Normen, die sich nicht (mehr) hinterfragen. Der Begriff „Unbeflissenheit“ (d.h. Unwissenheit oder Desinteresse) ist dabei doppeldeutig: Er kann sowohl auf intellektuelle Trägheit als auch auf moralische Gleichgültigkeit hinweisen.
Die „Üblichen“ handeln, wie sie immer handeln – mechanisch, voraussetzungslos, wiederholend. Sie sind das, was Heidegger in Sein und Zeit als das „Man“ beschreibt: „Man tut, was man tut“ – nicht, weil man sich entscheidet, sondern weil es üblich ist.
2. Die Verdächtigen – Reflexionsfiguren der Gegenwart
Im Kontrast dazu stehen die „Verdächtigen“, ein Begriff, der an Filmklassiker wie The Usual Suspects erinnert, aber hier auf jene verweist, die außerhalb des Normalbereichs agieren, die Fragen stellen, Systeme infrage stellen, möglicherweise sogar gefährlich wirken – nicht weil sie sind, was sie sind, sondern weil sie aus dem Rahmen fallen.
Diese Unterscheidung lässt sich auch als Sprachfigur für Kritikfähigkeit lesen: Die „Verdächtigen“ sind jene, die noch sehen, dass etwas falsch läuft – und genau deshalb „verdächtig“ werden in einer Welt, die sich selbst für alternativlos erklärt hat (vgl. Mark Fisher, Capitalist Realism, 2009).
3. Permaktivität – Das Grundübel der Weltbeschau
Der Text kulminiert in einer fast augenzwinkernden Metatheorie: „... die große Welt der Permaktivität.“ Was auf den ersten Blick wie ein Neologismus wirkt – und es vermutlich auch ist – könnte als eine Art ironisches Kofferwort gelesen werden: aus Permanenz und Aktivität. Es beschreibt damit eine Art ständig aktives, aber inhaltsleeres Verhalten, ein Bewegungsrauschen ohne Richtung – Hyperaktivität ohne Ziel.
Diese „Permaktivität“ ist der Zustand einer Welt, die ständig in Bewegung ist, sich permanent optimiert, ohne je zu reflektieren, wohin sie eigentlich unterwegs ist. Insofern ist es eine Diagnose, die auch Philosophen wie Byung-Chul Han in Werken wie Müdigkeitsgesellschaft (2010) auf ihre Weise stellen: Wir leben in einer Welt der Selbstüberforderung, in der jeder sich selbst als Projekt begreift – und am Ende erschöpft kollabiert.
4. Strategien der Vergangenheit – und das Scheitern der Zukunft
Eine zentrale Pointe lautet: „Es bringt überhaupt nichts, althergebrachten Strategien zu vertrauen.“ Damit wird ein Bruch mit der Geschichte, oder besser: ein Bruch mit dem blinden Fortschrittsglauben, gefordert. Die Instrumente, die wir bisher verwendeten, um Zukunft zu gestalten, sind abgenutzt. Die Rede ist hier vom Verlust der Zukunftsfähigkeit des Denkens.
Das erinnert an Zygmunt Baumans Konzept der „flüchtigen Moderne“, in der soziale Bindungen, institutionelle Stabilitäten und historische Gewissheiten zerfließen. In dieser Welt helfen Vergangenheitsskripte nicht mehr, um neue Realität zu begreifen oder zu gestalten.
5. Ironie, Absurdität und Psychedelik
Die abschließenden Sätze – „Feed your head (and don't forget the banana).“ – wirken wie ein absurder Rausschmeißer. Doch auch sie sind bedeutungsträchtig:
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„Feed your head“ ist ein Zitat aus dem Song White Rabbit von Jefferson Airplane – einem Stück aus der Gegenkultur der 1960er Jahre, das sich auf Bewusstseinserweiterung, Kritik an Autorität und das Überschreiten von Wahrnehmungsgrenzen bezieht.
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Die Banane wiederum ist ein Symbol, das etwa bei Andy Warhol (The Velvet Underground) für Popkultur, Ironie und Bedeutungsverschiebung stand.
Beide Verweise führen zusammen: Der Text endet psychedelisch, in einem bewussten Bruch mit rationaler Argumentation. Der Leser soll sich nicht nur „weiterbilden“, sondern den Geist ernähren – vielleicht sogar öffnen.
Fazit: Zwischen Denkübung und Dada
„Die Üblichen und die Verdächtigen“ ist ein Text, der sich einer eindimensionalen Interpretation entzieht. Er arbeitet mit Paradoxien, mit ironischer Überaffirmation und scheinbarer Tiefsinnigkeit – ein Stück philosophischer Dadaismus, das Fragen stellt, indem es Sprache dekonstruiert.
Die zentrale Botschaft könnte lauten: Wer in der Welt der Permaktivität überleben will, muss lernen, über den Rand der Üblichkeit hinauszudenken – ohne den Anspruch auf Gewissheit, aber mit dem Mut zur Verdächtigung des Bekannten.
In diesem Sinne: Denken Sie verdächtig. Aber vergessen Sie die Banane nicht.
Weiterführende Literatur:
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Martin Heidegger – Sein und Zeit (1927)
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Jacques Derrida – La Différance (1968)
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Mark Fisher – Capitalist Realism (2009)
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Byung-Chul Han – Müdigkeitsgesellschaft (2010)
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Zygmunt Bauman – Liquid Modernity (2000)
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The Jefferson Airplane – White Rabbit (1967)