Das Gedicht ist ein schönes Beispiel für dichte, spielerische Sprache mit mehreren Bedeutungsebenen, Wortneuschöpfungen und Assoziationen. Es nutzt bewusst Mehrdeutigkeiten, Klangähnlichkeiten und absurde Bildlichkeit.
Das Gedicht
Das Buch stabt in die Suppe,
die Wörter in den See.
Es sternt des Reimes Schnuppe.
Die Kuh der Zunft ich seh.
Analyse
Zwischen Suppe und Stern – Sprachspiel als Selbstentlarvung
Das Gedicht „Das Buch stabt in die Suppe“ wirkt auf den ersten Blick verspielt, ja vielleicht sogar unsinnig. Doch gerade in seiner scheinbaren Absurdität verbirgt sich eine präzise poetische Reflexion über Sprache, Bedeutung und das Verhältnis von Kunst und Welt. Es ist ein metapoetischer Kommentar – ein Gedicht über das Dichten selbst.
1. „Das Buch stabt in die Suppe“ – Der Sturz der Sprache in den Alltag
Die erste Zeile irritiert sofort: „Das Buch stabt in die Suppe“. Das Verb „stabt“ ist keine gängige Form – vielleicht eine bewusste Verdrehung von „stürzt“ oder eine Neuschöpfung aus „steckt“ und „tropft“? Jedenfalls beginnt der Text mit einem Zusammenstoß von Kultur und Alltag, von hoher Form (das Buch als Symbol des Geistes) und niedriger Materie (die Suppe als Symbol für das Profane, das Körperliche). Der Fall des Buches in die Suppe kann als Bild für das Scheitern sprachlicher Ordnung gelesen werden – oder als ironischer Kommentar auf den Bedeutungsverlust des Literarischen in einer funktionalisierten Welt.
2. „Die Wörter in den See“ – Sprachauflösung und Versinken
Die zweite Zeile führt diese Auflösung fort: Nicht nur das Buch stürzt ab, auch die Wörter selbst „fallen“ – nicht mehr in einen Kochtopf, sondern in den See. Der See ist tiefer, weiter, stiller. Während die Suppe noch das Alltägliche symbolisiert, steht der See für Tiefe, Unbewusstes, Auflösung. Wörter, die ins Wasser fallen, verlieren ihre Lesbarkeit. Sprache löst sich in Laut, Geste, vielleicht sogar in Natur auf. Hier klingt ein Moment von Melancholie mit: Das Gedicht deutet an, dass die Worte ihren Halt verlieren.
3. „Es sternt des Reimes Schnuppe“ – Die Ironie des Endreims
In der dritten Zeile kulminiert das Gedicht in einem doppelsinnigen Bild: „Es sternt des Reimes Schnuppe.“ Die Sternschnuppe als Metapher des Flüchtigen, Vergänglichen – aber auch als romantisches Motiv. Der Reim, traditionell Symbol für Form und Schönheit in der Lyrik, wird hier zur Sternschnuppe – etwas, das zwar glänzt, aber gleich wieder vergeht. Zugleich steckt im Wort „Schnuppe“ auch das Abwertende: „Das ist mir schnuppe“ – also gleichgültig. Der Reim, Herzstück vieler Gedichte, ist hier nur noch eine flüchtige, bedeutungslose Erscheinung. Der Vers dekonstruiert damit poetische Konventionen.
4. „Die Kuh der Zunft ich seh“ – Bildhafte Auflehnung gegen das Handwerk
Die letzte Zeile ist ein kleiner Triumphzug der Absurdität: „Die Kuh der Zunft ich seh.“ Die „Kuh der Zunft“ ist ein groteskes, fast dadaistisches Bild. Hier wird das dichterische Handwerk (die „Zunft“) mit einer Kuh verglichen – einem Tier, das eher für Wiederkäuen als für geistige Höhenflüge steht. Vielleicht ist es ein Seitenhieb auf traditionelle Poetik: das stumpfe Wiederkauen konventioneller Formen. Vielleicht aber auch eine Anerkennung des Irdischen, Tierhaften, ja des Lebens selbst als eigentlicher Ort des Dichtens.
Fazit: Poetische Sabotage als schöpferischer Akt
Das Gedicht spielt auf mehreren Ebenen mit der Auflösung von Sinn, Form und Tradition. Es ist nicht einfach nur „unsinnig“, sondern reflektiert bewusst über Unsinn als poetisches Mittel. Es dekonstruiert Reim, Bild und Sprache – nicht um sie zu zerstören, sondern um auf eine tiefere Wahrheit hinzuweisen: Dass Sprachkunst nicht immer Bedeutung im traditionellen Sinn erzeugen muss, sondern oft gerade in der Grenzverschiebung – im Dazwischen von Sinn und Unsinn – ihre Kraft entfaltet.
In seiner Kürze und Pointiertheit erinnert das Gedicht an den Dadaismus, aber auch an die lyrischen Aphorismen der Sprachanalyse (Wittgenstein, Celan, Ernst Jandl). Es zeigt: Auch in der Suppe, im See, in der Reim-Schnuppe und der Zunft-Kuh kann etwas entstehen – vielleicht kein fester Sinn, aber eine Ahnung von Lebendigkeit.