Es wird lauter

Eine sarkastische Miniatur über die Trivialisierung politischer Ernsthaftigkeit im Zeitalter medialer Überbelichtung. Der Text spielt mit der Form des Manifests, parodiert dabei jedoch dessen Inhalte. Was als Widerstand daherkommt, ist in Wirklichkeit oft nur Pose, Markt oder Bühne.

Egofütterung.

 

Zu bissig für den Streichelzoo.

 

Heute Eintritt frei.

 

Bienvenue! Rien ne va plus!

 

Berichten Sie! Berichten Sie! Die Show muss weitergehen.

 

Wo sind die Akteure?

 

Da kommen sie. Hochmotiviert. Hingabe. Aufopferung. Für die gute Sache.

 

Sollten es nicht viel mehr sein?

 

Ein launiges Aufeinandertreffen. Die Gutgelaunten und die Schlechtgelaunten. Die Schlechten und die Guten und die Anderen. Fotogene Grimassen.

 

Endlich. Die Hauptperson. Monsieur Profiteur.

 

Was für ein Spektakel!

 

Voyeur! Voyeur! Provocateur!

 

Souvenirs! Souvenirs!

 

Was? Schon zu Ende?

 

Dann bis zum nächsten Mal.

 

In einer anderen Stadt.

 

In welcher? Das ist eine Überraschung.

 

Bleiben Sie gespannt! 

Analyse

Der Text „Es wird lauter“ ist ein dichter, aphoristischer Kommentar zur Medialisierung von Protest, Meinung und öffentlichem Engagement. Wie eine Collage zusammengesetzt, gleicht er einem flüchtigen Skript für eine absurde Performance – irgendwo zwischen Zirkus, Talkshow und Straßenprotest. Die kurzen, oft ironisch gebrochenen Satzfragmente erzeugen einen Rhythmus, der zugleich entfremdet und fesselt. Der Text wird so selbst zum performativen Akt – zur Reflexion durch Form, nicht nur über Inhalt.

 

1. „Egofütterung“: Das Selbst im Rampenlicht

Der Eröffnungsterminus „Egofütterung“ markiert die programmatische Richtung des Textes: Es geht um ein öffentliches Geschehen, das nicht von sachlichem Engagement oder politischer Integrität bestimmt ist, sondern vom Narzissmus des Auftretens. Der Begriff erinnert an Byung-Chul Hans Diagnose der Gegenwart als „Transparenzgesellschaft“, in der alles sichtbar, sagbar und performativ verwertbar wird – inklusive des Selbst (Die Transparenzgesellschaft, 2012). Sichtbarkeit ist das höchste Gut, und damit auch die höchste Währung in einer digitalisierten Öffentlichkeit.

Das Selbst wird „gefüttert“, nicht geformt – ein passiver, konsumierender Akt. In dieser Lesart ist das Subjekt nicht Akteur, sondern Reizempfänger, der sich selbst als Produkt zur Schau stellt.

 

2. Das Theater des Politischen

Die Ankündigung „Heute Eintritt frei“ ruft das Bild eines Schaulaufens hervor. Ein Ereignis wird inszeniert – nicht als politischer Prozess, sondern als Spektakel, das Jean Baudrillard in La société de consommation (1970) als „Simulation von Realität“ bezeichnete. Die Welt erscheint nicht mehr über die Inhalte, sondern über die Darbietung.

„Berichten Sie! Berichten Sie! Die Show muss weitergehen“ ist dabei eine bitter-ironische Anspielung auf die Medienlogik: Nachrichtenkonsum verlangt Dramatik, nicht Tiefe. Der Imperativ zur Weiterberichterstattung – unabhängig vom Gehalt – erinnert an Guy Debords Gesellschaft des Spektakels (1967), in der sich gesellschaftliches Leben in ein Ensemble von Bildern und Illusionen auflöst.

 

3. Die Rollenverteilung: Gut, Böse und Monsieur Profiteur

Der Text führt ein ganzes Ensemble an Rollenfiguren ein: „die Gutgelaunten und die Schlechtgelaunten“, „die Guten und die Schlechten und die Anderen“ – ein Hinweis auf die simplifizierende Rhetorik vieler Diskurse, in denen Polarisierung und moralische Überhöhung dominieren. Die eigentliche Komplexität sozialer Fragen wird ersetzt durch „fotogene Grimassen“ – Zeichen, die mehr für die Kamera als für die Realität gemacht sind.

Mit „Monsieur Profiteur“ betritt schließlich die zentrale Figur die Bühne – der eigentliche Gewinner des Spektakels. In ihm kulminiert die Kritik: Er profitiert vom politischen Aufruhr, vom medialen Lärm, vom Engagement der anderen. Er erinnert an die Figur des "Medienintellektuellen" oder "Empörungsunternehmers", der – wie Slavoj Žižek formuliert – durch das "leere Ritual des Widerspruchs" seine eigene Position stärkt (Violence, 2008).

 

4. „Souvenirs! Souvenirs!“ – Die Ware der Erinnerung

Mit diesem Ausruf kippt die Szenerie endgültig in die Kommerzialisierung. Der politische Moment wird zur Ware, zur Erinnerung, zum Selfie. Was bleibt, ist nicht Veränderung, sondern eine Postkarte, ein Clip – ein digitales Souvenir. Dies verweist auf das, was Walter Benjamin in seinem Kunstwerkaufsatz die „Verlust der Aura“ nannte – das Verschwinden des Unverfügbaren im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit.

 

5. Die Wiederholung als Programm

„Dann bis zum nächsten Mal. In einer anderen Stadt.“ – Das Spektakel ist nie vorbei, es zieht nur weiter. Es ist zyklisch, wie eine Tournee. Der Text verweigert sich einer Katharsis oder Lösung – er endet in einer fast zynischen Öffnung: „Bleiben Sie gespannt!“ Der politische Ernst verwandelt sich in Serienlogik. Wiederholung ersetzt Transformation.

 

Fazit: Lärm ohne Substanz

„Es wird lauter“ ist eine sarkastische Miniatur über die Trivialisierung politischer Ernsthaftigkeit im Zeitalter medialer Überbelichtung. Der Text spielt mit der Form des Manifests, parodiert dabei jedoch dessen Inhalte. Was als Widerstand daherkommt, ist in Wirklichkeit oft nur Pose, Markt oder Bühne.

Er fragt nicht, was gesagt wird, sondern warum und wie es gezeigt wird. Damit schließt er an eine Tradition kritischer Theorien an, die nicht auf der Oberfläche des Sagbaren verweilen, sondern die Mechanismen der Darstellung selbst bloßlegen – in der Hoffnung, dass es vielleicht doch irgendwann leiser wird.

 

Literaturhinweise:

  • Jean Baudrillard: La société de consommation, 1970

  • Guy Debord: La société du spectacle, 1967

  • Byung-Chul Han: Die Transparenzgesellschaft, 2012

  • Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 1935

  • Slavoj Žižek: Violence, 2008