Der scheinbar banale Dialog über Rasen und Gärten lässt sich als kleines Manifest einer neuen Lebenshaltung lesen: Gestalten durch Lassen, Kontrolle durch Wahl, Natur als Dialograum. Hank steht exemplarisch für einen Menschen, der das Bedürfnis nach Kontrolle erkennt, aber nicht zum Dogma erhebt. Er wählt bewusst das Unperfekte – nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Überzeugung.
Hey Hank, wie geht’s?
Gut, soweit. Habe noch ein bisschen im Garten zu tun.
Wie ich sehe, bist du offensichtlich nicht so der Freund des gepflegten Rasens?
Doch, ich weiß einen schönen und gepflegten Rasen sehr wohl zu schätzen. Nur nicht in meinem Garten. Da ist Gras für mich Unkraut.
Du liebst einen schönen Rasen, nur nicht in deinem Garten?
Das trifft es haargenau. Rasen ist mir dann doch ein wenig zu gewollt für meinen Garten. So ein gewisser Eindruck von Wildheit und Lebendigkeit sollte schon vorhanden sein.
Oder du hast keine Lust dich ständig zu kümmern?
Das auch. Wenn Rasen in der wilden Natur vorkommen würde, dann würde ich ihn auch in meinem Garten haben wollen. Doch sind mir keine wilden Rasenlandschaften bekannt. Und selbst wenn es so wäre, dann würden wir vermutlich das gleiche Gespräch führen. Dann würden andere vielleicht mühevoll Löwenzahn in ihrem Garten anbauen. Und du würdest mich fragen, ob ich denn kein Freund eines gepflegten Löwenzahnteppichs sei.
Verstehe. Natur pur.
Eher so ein Zwischending. Ich lasse wachsen, und was stört, fliegt raus.
Was stört fliegt raus. Verstehe. Dann will ich mal nicht länger stören. Wir sehen uns.
Alles klar.
Analyse
Der kurze, beiläufig wirkende Dialog zwischen Hank und seinem Gesprächspartner über Gartengestaltung entwickelt sich – hinter seiner lakonischen Oberfläche – zu einem subtilen Diskurs über das Verhältnis von Natur und Kultur, Ordnung und Freiheit, Eingriff und Gelassenheit. Was als Gespräch über Rasenpflege beginnt, berührt grundlegende Fragen unseres Weltverhältnisses. Es geht letztlich darum, wie der Mensch sich zur Natur positioniert – und was seine Vorstellung von Gestaltung eigentlich bedeutet.
1. Der gepflegte Rasen – Symbol der Kontrolle
Der Rasen ist im westlichen Kulturraum weit mehr als nur eine Pflanzenart. Er ist Ausdruck eines ästhetischen Ideals: von Ordnung, Kontrolle, Disziplin. In suburbanen Vorgärten wird er gehegt, getrimmt und regelmäßig entmoost. Der amerikanische Kulturkritiker Michael Pollan nennt den Rasen in seinem Essay The Lawn: American Obsession ein „Symbol bürgerlicher Tugenden“ – als Zeichen von Fleiß, Konformität und zivilisatorischer Überlegenheit. Auch in Europa hat sich diese Symbolik durchgesetzt. Der perfekte Rasen ist keine Naturerscheinung, sondern ein künstlich aufrechterhaltenes kulturelles Konstrukt.
Hank hingegen wendet sich explizit davon ab: „Da ist Gras für mich Unkraut.“ Das ist keine botanische, sondern eine bewusste ästhetisch-existenzielle Wertung. Er erkennt den Rasen als Zwang zur Kontrolle, lehnt diesen aber für seinen persönlichen Raum ab – zugunsten eines Konzepts von Wildheit und Lebendigkeit.
2. Der Garten als Ort des Kompromisses
Hanks Position ist nicht radikal-naturromantisch. Er betreibt keinen völligen Laissez-faire-Garten, sondern einen, in dem gilt: „Ich lasse wachsen, und was stört, fliegt raus.“ Diese Haltung steht zwischen zwei Extremen – absoluter Kontrolle (Rasen) und völliger Verwilderung (Urwald). Es ist ein Prinzip selektiven Eingreifens, das an Theorien der Selbstorganisation erinnert, wie sie z. B. der Systemtheoretiker Niklas Luhmann oder die Permakultur-Bewegung vertreten: Systeme entwickeln sich aus sich heraus, aber nicht ohne Steuerung.
Dieses Modell – Wachstum zulassen, ohne sich selbst zu überlassen – spiegelt eine ethisch-pragmatische Haltung wider: Verantwortung ohne Übergriffigkeit. Es ist der Garten als Gleichnis für Gesellschaft: eine Balance zwischen Freiheit und Eingriff.
3. Gestaltung durch Unterlassung
Bemerkenswert ist Hanks Satz: „Wenn Rasen in der wilden Natur vorkommen würde, dann würde ich ihn auch in meinem Garten haben wollen.“ Hier kehrt er den üblichen Weg um. Nicht: Was in der Kultur schön ist, wird der Natur aufgezwungen, sondern: Was die Natur von sich aus hervorbringt, erhält Gültigkeit. Dieses Denken erinnert an Laozi, den chinesischen Philosophen des Daoismus:
„Nicht-Handeln ist die höchste Handlung.“
— Dao De Jing, Kapitel 48
Hanks Haltung ist ein westlich ironisch gebrochener Daoismus: Er übt sich im Wu wei (Nicht-Eingreifen), aber nicht absolut – er greift ein, wenn es stört. Die Bewertung bleibt subjektiv, aber das Prinzip ist klar: Gestaltung entsteht auch durch Weglassen.
4. Ästhetik des Wilden
Der Wunsch nach einem gewissen Maß an Wildheit ist nicht nur gärtnerisch motiviert. Er verweist auf ein kulturelles Umdenken, wie es etwa in der Rewilding-Bewegung zum Ausdruck kommt – dem Versuch, Räume der Natur zurückzugeben, was ihr genommen wurde. Der Garten ist in diesem Sinne ein Hybridraum, in dem Mensch und Natur aufeinander treffen – und sich neu arrangieren.
Die Dialogzeile „Was stört, fliegt raus“ lässt sich auch als Lebensmotto lesen: selektive Autonomie, statt totaler Kontrolle. Dies steht im Gegensatz zu klassischen Rationalismus-Idealen, etwa bei Descartes, der die Natur vollständig nutzbar und beherrschbar machen wollte. Hank repräsentiert eher ein postmodernes Verhältnis zur Natur: ambivalent, selbstironisch, aber auch achtsam.
Fazit: Vom Rasen zur Lebenshaltung
Der scheinbar banale Dialog über Rasen und Gärten lässt sich als kleines Manifest einer neuen Lebenshaltung lesen: Gestalten durch Lassen, Kontrolle durch Wahl, Natur als Dialograum. Hank steht exemplarisch für einen Menschen, der das Bedürfnis nach Kontrolle erkennt, aber nicht zum Dogma erhebt. Er wählt bewusst das Unperfekte – nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Überzeugung.
In einer Zeit, in der Ordnung oft überhöht, Natur domestiziert und jede Störung sofort behoben werden muss, liefert Hank ein Gegenbild: pragmatisch, gelassen, selbstreflektiert. Seine Gartenphilosophie ist zugleich eine Einladung: das eigene Verhältnis zur Welt, zum Wachsen und zum Eingreifen neu zu überdenken.