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Aristotelische "Abschnürung" (1)

 

Es ist aber ein Irrtum zu glauben, dass damit, dass die Reflexion diese Form [die der zweiwertigen Logik] des Denkens hinter sich lässt, jegliche logische Form schlechthin aus dem philosophischen Begreifen verbannt ist und dass die Philosophie von jetzt an – speziell dort, wo sie sich als Metaphysik entwickelt – über das „bloß“ formale Denken erhaben sei.

Es ist bedauerlich, dass Hegel in der Tat einem solchen irrtümlichen Glauben gehuldigt hat. Aber es ist kaum zu begreifen, wenn angesichts der enormen Fortschritte der modernen symbolischen Logik auf dem Gebiete der Formanalyse noch heutzutage Hegelapologeten diesen antiquierten Standpunkt verteidigen. Dass bei transzendentalen Idealisten auch in unserem Zeitalter der Quantentheorie, der Kybernetik und der mathematischen Logik noch eine geradezu unermessliche Fülle wieder verlorengegangener philosophischer Einsichten zu finden sind und dass die Gegenwart nur ihr eigenes philosophisches Niveau unerträglich heruntersetzt, wenn sie diese Tatsache ignoriert, ist richtig. Die heute sehr spärlich gewordenen Apologeten des Idealismus aber vergessen völlig, dass auch die tiefsten Gedanken kommunizierbar sein müssen und dass das Bestehen auf einem strikten Formalismus nicht mehr bedeutet als die unbedingte Forderung eines stets nachprüfbaren Systems der Kommunikation. Dabei mag sich allerdings zeigen, dass gewisse Kommunikationssysteme für die Übermittlung neuer Einsichten nicht mehr geeignet sind.

Genau dieser Fall liegt in der mit Kant beginnenden neuen Problematik des philosophischen Denkens vor. Schon Kant sieht ein, dass die transzendentale Reflexion sich nicht mehr in den Strukturzusammenhang der vorgeschriebenen klassischen Denkformen fügen will. Daraus aber, wie seine Nachfolger es tun, zu schließen, dass die Philosophie sich damit endgültig von den Banden eines nachprüfbaren und berechenbaren Formalismus frei gemacht habe, heißt, das Denken einem hoffnungslosen Anarchismus und Nihilismus zu überantworten.

 

(Aus: Gotthard Günther, „Idee und Grundriß einer nicht-Aristotelischen Logik“, Felix Meiner Verlag, 1978, S. 304)