Zeitlos

Über Gotthard Günthers paradigmatischen Versuch, das abendländische Denken aus der Fesselung an die zweiwertige Logik zu lösen. Er analysierte die Geschichte und das Scheitern des spekulativen Idealismus von Kant bis Hegel. Das Ergebnis war keine einfache Kritik, sondern der Auftakt zu einem umfassenden Neuentwurf: einer Logik, die Differenz, Selbstbezug und Reflexion strukturell denken kann.

Der Bruch mit der klassischen Logik

Gotthard Günther warnt davor, anzunehmen, dass mit der Überwindung der zweiwertigen Logik jede logische Form aus der Philosophie verbannt sei. Er kritisiert Hegel und heutige Idealismus-Apologeten dafür, den Anspruch auf formale Nachprüfbarkeit philosophischer Gedanken zu vernachlässigen, obwohl moderne Logik und Wissenschaft längst neue Wege der Formanalyse bieten. Auch tiefste Einsichten müssen kommunizierbar und überprüfbar bleiben, sonst droht ein Rückfall in philosophischen Anarchismus. Der Bruch mit der klassischen Logik seit Kant bedeutet nicht das Ende des Formalismus, sondern die Notwendigkeit neuer, geeigneterer Kommunikationsformen.

(siehe auch: Aristotelische "Abschnürung" (1))

 

 

Das Erbe des spekulativen Idealismus

Gotthard Günther beschreibt ein zwiespältiges Erbe des Idealismus: Einerseits haben Mathematik und Naturwissenschaften einen hochentwickelten, sinnneutralen Formalismus geschaffen, der den klassischen Logikrahmen überwindet. Andererseits ist das spekulative Erbe Hegels in unverständliche, fragmentierte Ideen zerfallen, sodass kein verbindliches philosophisches Gespräch mehr möglich ist. Die Unverständlichkeit idealistischer Texte führt einerseits zu deren Ablehnung durch formal orientierte Denker, andererseits wird sie von Idealisten selbst fälschlich als Beweis tiefer philosophischer Wahrheit angesehen. Günther kritisiert beide Positionen als unhaltbar und plädiert für neue, kommunizierbare Denkformen.

(siehe auch: Aristotelische "Abschnürung" (2))

 

 

Der gescheiterte Ausbruch

Gotthard Günther widerspricht sowohl der naturwissenschaftlichen Abwertung spekulativer Philosophie als Unsinn wie auch ihrer Überhöhung als überrational. Stattdessen sieht er in diesen Texten den ernsthaften, aber gescheiterten Versuch, sich von der klassischen zweiwertigen Logik zu lösen. Der Irrtum der spekulativen Idealisten liegt darin, an der Zweiwertigkeit als einzig möglicher Form des Denkens festzuhalten und überformale Inhalte einem universalen Subjekt zuzuschreiben. Günther plädiert dafür, jene reflexiven Motive, die über diese Dichotomie hinausgehen, in einer neuen, mehrwertigen und dennoch formalisierbaren Logik zu denken.

(siehe auch: Aristotelische "Abschnürung" (3))

 

 

Die Liquidation des zweiwertigen Bewusstseins

Gotthard Günther argumentiert, dass Hegel aufgrund fehlender theoretischer Mittel die Möglichkeit einer mehrwertigen Logik nicht erkennen konnte, sich aber dennoch zu Unrecht vom Formalismus als Mittel metaphysischen Denkens abwandte. Diese Abkehr markiert das Ende einer Epoche des zweiwertigen Bewusstseins, das in Hegels Begriff der „absoluten Vermittlung“ seine eigenen Grenzen erkennt und als allgemeines Kommunikationsmedium zerfällt. Daraus folgt für Günther historisch logisch der Übergang zum philosophischen Marxismus, der nur noch die äußere, gegenständliche Existenz des Menschen als Grundlage der Kommunikation anerkennt. Die spekulative Logik verliert damit ihren Anspruch auf Allgemeingültigkeit und formale Nachprüfbarkeit.

(siehe auch: Aristotelische "Abschnürung" (4))

 

 

Moderne Logik und das Hegelsche Problem

Gotthard Günther beschreibt das zentrale Problem Hegels als die Frage, mit welcher neuen Logik die klassische zweiwertige Logik selbst reflektiert und gedacht werden kann – ein Problem, das auch moderne mathematische Logiken nur teilweise lösen. Während Ansätze wie die Typentheorie, der Intuitionismus oder die Semiosis (Syntax, Semantik, Pragmatik) dem näherkommen, fehlt ihnen die grundlegende Einsicht Hegels, dass eine qualitativ neue Bewusstseinslage nötig ist, um über die klassische Logik hinauszugehen. Hegel erkannte, dass diese Logik nicht durch bloße Erweiterung, sondern nur durch einen kategorialen Bruch überwindbar ist. Damit betont Günther die Bedeutung Hegels als Vorläufer nicht-aristotelischer Reflexionslogik.

(siehe auch: Aristotelische "Abschnürung" (5))

 

 

Die verfehlte Synthese

Gotthard Günther kritisiert Hegel dafür, dass er bei der Reflexion über die Logik der Reflexion-in-sich keinen grundlegenden Themawechsel vornimmt, sondern weiterhin auf der klassischen zweiwertigen Logik beharrt. Statt eine neue Struktur für das Denken über das Denken zu entwickeln, bleibt Hegel laut Günther beim alten ontologischen Thema des „Seins“ und nutzt dieselbe Logik sowohl für Objekte als auch für Subjekte. Die beiden Anwendungen – auf Dinge (irreflexiv, „aristotelisch“) und auf das Denken (reflexiv, „kontra-aristotelisch“) – beruhen jedoch auf derselben logischen Grundlage. Damit sei Hegels Synthese letztlich ein Rückfall auf eine vor-kantische, klassisch-metaphysische Denkweise.

(siehe auch: Aristotelische "Abschnürung" (6))

 

 

Literatur:

  • Gotthard Günther: Idee und Grundriss einer nicht-Aristotelischen Logik, Meiner Verlag, 1978

  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Wissenschaft der Logik

  • Jan Łukasiewicz: On Three-Valued Logic, 1920

  • Bertrand Russell: Introduction to Mathematical Philosophy, 1919

  • Charles S. Peirce: Collected Papers

  • Nuel Belnap: A Useful Four-Valued Logic, 1977